Die Nanowichte
komplett um. Nimlet hatte im Nu ein ganzes Tausend identischer (und absolut unnötiger) hydrophober Ketten durchgeschnippelt, hatte damit die Aktivierungsenergie herabgesetzt und den metabolischen Nutzeffekt erhöht. Innerhalb von Sekunden zerkauten die Enzyme alles an Fruktose, was ihnen zwischen die frisch geschärften enzymatischen Zähne kam, zerfetzten mit monozellularer Unbekümmertheit Molekül um Molekül und produzierten so literweise einen beängstigend leicht entflammbaren Melonenalkohol. Und ohne daß jemand es bemerkt hätte, sammelten sich an jedem tragenden Element der Baustruktur Grüppchen von in der Natur eher selten vorkommenden Molotowmelonen an.
»Fünfundvierzig Sekunden!«
In diesem Augenblick setzte sich in einem Büro im hinteren Teil des Großen Gemeindetempels ein Architekt stocksteif auf und ließ den Federkiel auf die prophetische Blaupause fallen, an der er gerade arbeitete. Whim Py schrie auf und hämmerte mit den Fäusten auf das Zeichenbrett ein: Wie ein Schock traf es ihn, mit Entsetzen sah er, wie eine bis dato nicht vorhergesehene Komponente seines Seherlebens mit höhnischem Lachen das häßliche Haupt erhob. Sein ganzes berufliches Leben lang hatte er sich mit all seiner intellektuellen Kraft der Abschätzung von Erdbebenauswirkungen gewidmet, der Beurteilung von Verschleiß und Abnutzung, der Kalkulation von Verfall durch Austrocknung oder Fäule durch Nässe, der Bewertung von unzähligen anderen Belastungen, denen die Substanz jedweden Gebäudes tagtäglich ausgesetzt ist. Nur an eines hatte er nie gedacht: an Sabotage!
»Dreißig Sekunden!«
Der Nanowicht Udio flitzte aus einer rapide vergärenden Melone, wuselte wie der Blitz zwischen den Zellen hindurch und sauste ins Innerste eines zentralen Stütz- und Tragebalkens im Scheunengerüst. Nur einen Sekundenbruchteil später riß und zerrte er an einer der zahllosen Ligninfasern, die die Struktur des Holzbalkens bildeten. Er kurvte durch das fibröse Molekül, löste ausgelassen und mutwillig die Wasserstoffbindungen auf und lockerte systematisch das faserige Arrangement. Sekunden später trafen Nimlet und Skarg’l ein und packten mit an.
»Fünfzehn«, wimmerte Quintzi kläglich. Die Gesamtbelegschaft der Städtischen Obsteinlagerungsgesellschaft Axolotl starrte ihn finster an und rückte einen Schritt vor.
»Die da soll in fünfzehn Sekunden einstürzen?« machte sich Miesly lustig und zeigte auf die Scheune. »Ich seh aber nirgends eine entsprechend dunkle Wolke, die mit einer Million Volt Blitzelektrizität geladen wär. Und ich spür auch kein Beben, das zum Einsturz führen könnte.«
»Zehn!« knurrte Quintzi. Er haßte Miesly, haßte ihn mit jeder Faser seines drahtigen Körpers. Vor allen Dingen deswegen, weil er das scheußliche Gefühl nicht loswurde, daß der Oberauspizient tatsächlich recht haben könnte. Dieser Schuppen stand felsenfest! Und der sollte jetzt vor aller Augen zusammenkrachen? War doch gar nicht möglich, oder?
»Fünf!« winselte Quintzi. Miesly hatte sich umgedreht und spazierte mit übertriebener Lässigkeit auf das mächtige Bauwerk zu.
»Felsenfest!« sagte er und schlug zur Demonstration mit der Faust an die Wand.
»Drei!«
»Hält ewig!«
»Zwei!«
»Gib’s schon zu, Cohatl …«
»Eins!«
»… ist doch nur ein Scherz, oder?«
Die Scheune stand felsenfest und rührte und regte sich nicht. Ganz anders die Gesamtbelegschaft der Städtischen Obsteinlagerungsgesellschaft Axolotl, die sich hysterisch lachend am Boden wälzte.
Quintzi bot ein Bild des Jammers. Er schüttelte den Kopf. Was hatte er sich bloß dabei gedacht? Stimmen in seinem Kopf hatten ihm weismachen wollen, daß das imposanteste Exemplar Scheunenarchitektur, das je die Skyline von Axolotl geziert hatte, daß dieses Meisterwerk zu einem bestimmten Zeitpunkt zusammenfallen werde! Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß er unaufhaltsam verblödete, dann …
Mit ohrenbetäubendem Krachen verbog und verzerrte sich Holz und zersplitterte, schlagartig erstarb das Gelächter. Alle wandten sich um und blickten auf die Scheune, jeder sah, vor Entsetzen stumm, den Mund weit geöffnet, wie sich – ein scheußlicher Anblick – die Außenwände voreinander verneigten und mit einem hallenden lauten Knall aufplatzten. Stützbalken bogen sich und stürzten nach innen, krachten auf den Boden und zerschmetterten die vergorenen Früchte, die ein explosives Aerosol aus Melonenalkohol versprühten. Das Dach senkte sich,
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