Die Nanowichte
Gehaltserhöhungen der letzten zehn Jahre hingekommen sind!«
Das Grinsen auf Mieslys Gesicht war plötzlich wie weggewischt. »Lügner!« wollte er losschreien. Aber Quintzi brüllte dazwischen: »Und nicht nur meine! Habt ihr etwa in letzter Zeit eine Lohnerhöhung bekommen, Kollegen?« schrie er die Melonenpacker an. »Und wie war das bei dem Schlechtwettereinbruch im letzten Jahr? Was ist mit der Bezahlung der Überstunden?« Quintzi schaute beinahe genauso schockiert drein wie die komplett im Hof versammelte wutschnaubende Arbeiterschaft, unter der jetzt der Aufruhr losbrach. »Was?« flüsterte er. »Woher wollt ihr das wissen …?«
»Wir haben eben gestern nacht nicht geschlafen!« blafften die Nanos gereizt. »Wir haben ein paar … äh … Nachforschungen angestellt. Und nun sagst du ihnen folgendes …«
Als Quintzi jetzt Miesly anstarrte und gleichzeitig den Stimmen im Ohr lauschte, überschlugen sich die Gedanken in seinem Kopf. Was hier geschah, war unheimlich, war äußerst befremdlich, war andererseits aber nicht durchweg unerfreulich.
Er räusperte sich und schrie: »Aber ich bin nicht gekommen, um Unfrieden zu stiften. Ich bin gekommen, weil ich helfen will. Ich weiß, wie sehr euch Burschen der Erhalt eurer Avocados am Herzen liegt, und hielt es deshalb für meine Pflicht, euch davon in Kenntnis zu setzen, daß die Hauptscheuer dort drüben, in der fast die gesamte Melonenernte eingelagert ist – daß diese Scheuer in etwa drei Minuten einstürzen und Feuer fangen wird!« Angst und Schrecken spiegelten sich auf Quintzis Gesicht – ein Vorgang, der seinen Zuhörern nur deswegen entging, weil sie hämisch loskreischten und sich krumm und bucklig lachten.
»Der Schuppen da drüben?« johlte Miesly. »Du meinst den Schuppen da, für den der kompetenteste Feuermelderprophet von ganz Axolotl zuständig ist?«
»Ja«, antwortete Quintzi, als zur Bekräftigung kurzerhand gegen sein Trommelfell geböllert wurde.
»Du meinst wirklich den Schuppen aus angstarktischer Kiefer? Aus einem Holz, das unter härtesten und widrigsten Bedingungen wächst und deshalb ein überaus hochwertiges Baumaterial liefert, das allen Vorhersagen zufolge mehr als ein Jahrhundert hält? Auch ohne Dämmschutz gegen Bodenfeuchtigkeit?«
»Ja.«
»Den Schuppen, der vor drei Jahren nach den ehrgeizigen Plänen von Whim Py gebaut wurde? Der jede mögliche Belastung, jede Schwachstelle und jede potentielle Überlastung vorhergesehen und dem allen durch die Konstruktion eines perfekten Trägergerüsts – ein preisgekrönter Entwurf! – entgegengewirkt hat?«
»Genau den. Jetzt sind es übrigens noch genau zweieinviertel Minuten.« Quintzi hätte liebend gern gewußt, was er da sagte.
Miesly brüllte los, er bog sich vor Lachen und konnte sich kaum mehr gerade halten. »Du gefällst mir, Cohatl, du gefällst mir wirklich. Bühnenreife Leistung! Hätte nie gedacht, daß du mich mal so zum Lachen brächtest! Und dann auch gleich noch zwei Tage hintereinander! Hast du noch eine Zugabe in petto?«
»Eine Minute und fünfzig Sekunden«, sagte Quintzi und erntete wieder brüllendes Gelächter.
»Du machst jetzt einfach mit dem Countdown weiter«, trommelten die Nanowichte. »Um alles andere kümmern wir uns. Viel Spaß!«
»Was habt ihr vor … He, kommt zurück!« flüsterte er. Drei winzige grüne Lichtpünktchen flitzten aus seinem linken Ohr, sausten wie der Blitz durch die hysterische Menge und verschwanden in der Melonenscheuer.
»Eine Minute, dreißig Sekunden«, gab Quintzi bekannt.
Am anderen Ende von Axolotl hörten plötzlich die Augurenohren eines gewissen Max Plansch, des Chefpropheten für Brandkatastrophen und Obersten Feuermelders (und jedermann unter dem Namen ›Minimax‹ bekannt), die Alarmglocken Sturm zu läuten. Mit einem Satz war er auf den Beinen. Er warf den Stuhl um, in dem er eben noch ganz gemütlich gesessen hatte, rannte quer durchs Zimmer, rutschte eine gründlich eingeschmierte Stange hinunter und landete im Fahrersitz seines einsatzbereit geparkten Karrens. Nur dreimal mußte er kurz mit der Peitsche knallen, und schon trabte der angegraute Esel apathisch los, schon zockelten sie im Schneckentempo dorthin, wo schon bald eine Feuersbrunst wüten sollte.
»Eine Minute!« schrie Quintzi.
Seltsame Dinge geschahen jetzt in der Scheune. Die Nanowichte gestalteten die in der Natur vorkommenden Hefeenzyme einiger speziell zu diesem Zweck ausgewählter, reifer Melonen auf mikromolekularer Ebene
Weitere Kostenlose Bücher