Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nanowichte

Die Nanowichte

Titel: Die Nanowichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
Vom Netzwerk:
erloschen und der Magier auf die auf Fässern liegende Tischplatte sprang, die in einem Etablissement wie dem Spucknapf als Bühne herhalten mußte. Eine große schwarze Krähe hockte auf seiner Schulter. Alles war beinahe genauso wie vor zwei Jahren. Nur Der Große Intranco trug jetzt wieder Bart.
    Strappado glaubte, die Vergangenheit noch einmal zu erleben. Beinahe übermächtig wurde diese Empfindung, als Intranco einen ramponierten Strauß Pergamentnelken aus dem Ärmel zauberte (ein Ereignis, das das Publikum mit umwerfender Apathie zu würdigen wußte) und die Krähe zum Taschenfilzen davonsegelte.
    Da wußte Strappado, daß er seinen Mann vor Augen hatte. Er konnte es kaum fassen, endlich sein Haßobjekt vor sich zu sehen. Tief im Bauch spannten sich Muskeln, und ein belebender Adrenalinstrom brauste ihm durch den Körper. Und die Atmosphäre spitzte die Ohren, sie witterte, daß etwas durchaus Interessantes bevorstand.
    Intranco lüpfte schwungvoll seinen Spitzhut, demonstrierte ausführlich, daß nichts in ihm verborgen war, sprang dann von der Bühne und griff nach der Krempe von Strappados Schlapphut.
    »Hab ich dich endlich!« schrie der Überwachmeister – und das wieder einmal genau in einem jener sehr seltenen Momente, da alle, die im Spucknapf anwesend waren, schlagartig und gleichzeitig zu reden aufgehört und sich nach ihm umgedreht hatten, aufmerksam gemacht durch das Blitzen und Rasseln der Handschellen, die sich in diesem Augenblick um die Handgelenke des Magiers schließen wollten. Und als die Menge die erschreckend vertraute Stimme des gefürchteten Überwachtmeisters Strappado hörte, da brach – zur großen Freude und Zufriedenheit der Atmosphäre – Panik aus im Silbernen Spucknapf. Die Krähe drehte durch. Wild flatternd schoß sie zum Fenster hinaus und floh überstürzt – eine Taschensonnenuhr aus Messing im spärlichen Fluchtgepäck und einen Beutel mit fünf Silbergroschen.
    Tische stürzten um und purzelten durch die Gegend, die Gäste des Spucknapfs (unter denen keiner war, der nichts auf dem Kerbholz gehabt hätte) sprangen von den Stühlen auf und rannten zum nächstbesten Ausgang, flüchteten vor dem fünfzehn Mann starken Trupp schwerbewaffneter Ordnungshüter, der, wie sie befürchteten, im nächsten Moment das Lokal stürmen würde. Sie stemmten Fenster auf, die fest versiegelt waren mit einer nikotinhaltigen Teerschicht, die sich über die Jahrhunderte abgelagert hatte, stießen Falltüren auf, die unter einer harten, über die Jahrzehnte gewachsenen Kruste aus Spucke und Sägemehl lagen, oder stürmten ganz einfach – eine tumultuarische, panische Masse – in wilder Flucht zur Vordertür.
    Strappado reagierte zu spät: Aezznaton, der Meuchelmörder, stiefelte ihm mit seinen Quadratlatschen in die Brust. Besagter Privatliquidator hatte sich von einer Sekunde auf die andere zur Flucht entschlossen – er hatte seine AA-Mitgliedschaft [14] nicht verlängern lassen und wollte auf keinen Fall geschnappt werden.
    Als der Überwachtmeister zu Boden getrampelt wurde, nützte Intranco die Gelegenheit und ergriff die Flucht. Mit pendelnden Handschellen am Armgelenk sauste er zur Tür, hinaus in die Nacht und rannte davon. In Guldenburg gab es nur eine Adresse, wo er sich in Sicherheit bringen konnte: das Warenhaus von Rudi Ramscher in der Leimergasse 21-21b. Und dorthin rannte er, so schnell er konnte.
    »Gib mir sofort die Handschellen zurück!« schrie Strappado, der auf dem dreckverkrusteten Boden lag. »Das ist Diebstahl! Dafür kann ich dich auch drankriegen!« Er kroch unter einem Tisch hervor, rappelte sich auf und spurtete los – wiewohl noch etwas wacklig auf den Beinen –, um sich einen weiteren Haftbefehlt zu besorgen und seine Truppe zusammenzutrommeln. Jetzt handelte es sich nicht mehr nur um seine Privatangelegenheit. Jetzt konnte er sich eine Truppe organisieren, ohne einen Pfennig dafür zahlen zu müssen.
    Strappado rannte, fluchte, tobte. Wie hatte es passieren können, daß ihm dieses Schwein so einfach entwischt war? Dieser verdammte Rote! Wenn die Meute im Spucknapf nicht wie eine Büffelherde losgetrampelt wäre, dann säß dieser Mistkerl schon längst hinter Gittern …
    »Moment mal«, fauchte Strappado und versetzte einer armdicken Ratte einen Tritt. »Keine Massenflucht, kein Entkommen!« Verdammt! Die Sache war heißer, als er gedacht hatte. Im Bruchteil einer Sekunde hatte sein fixer Verstand, geschult im Entlarven von Unterwanderern, die Verbindung

Weitere Kostenlose Bücher