Die narzisstische Gesellschaft
intellektuelle und rationale Argumentation des Größenselbst-Narzissten immer überlegen bleibt und es keine Chance gibt, dass eine andere Meinung daneben bestehen könnte. So wird der Disput anstrengend und lästig und man verliert schnell die Freude an der Kommunikation. Sie bleibt eine Einbahnstraße. Internale und emotionale Mitteilungen, die eine Beziehung persönlich und spannend machen würden, sind sowieso nicht zu erwarten, höchstens die aufgesetzten Als-ob-Stimmungen, die immer unangenehm sind. Es gibt für den Narzissten nur Sieg oder Niederlage, und wer sich auf dieses «Spiel» einlässt, ist selbst in der narzisstischen Abwehr befangen. Man erlebt also einen starken Sog zur Zustimmung, zur Übereinstimmung. Der Narzisst setzt als selbstverständlich voraus, dass man so empfindet und denkt wie er. Wer widerspricht oder auch nur anderer Meinung ist, der verdirbt die ersehnte Harmonie. So fängt man an, sich selber zu zensieren und nur noch das mitzuteilen, was der Narzisst hören will, damit keine Missstimmung entsteht (es sei denn, man braucht den Zwist zur eigenen Abwehr). Das Großspurige, das Angeberische löst natürlich auch leicht Widerwillen aus, man fühlt sich schnell angewidert, auch gelangweilt und wird bemüht sein, den Kontakt zu beenden, was dann meistens als Erleichterung erlebt wird.
Gegenüber einem Menschen mit Größenklein wird man hingegen zur Unterstützung und Hilfe verführt. Man möchte erklären und beraten. Das Weinerliche wird rasch lästig, die negative Weltsicht zieht hinab, bei den Selbstbeschuldigungen möchte man beschwichtigen, trösten und Hoffnung machen. Das ist aber das Falscheste, was man tun kann, weil der Selbstwertgestörte dadurch nur angestachelt wird, noch mehr zu beweisen, dass er doch nichts wert ist und alles sowieso keinen Sinn macht. Der Helfer wird in die Verzweiflung gedrängt, bis er schließlich – wie ehemals die ablehnende Mutter – den anderen abwertet oder ihn verachtet. Dann hat das Größenklein endlich wieder seinen Frieden, alle Verbesserungsvorschläge sind zunichtegemacht.
Wenn man nicht kollusiv mitspielt, fühlt man sich im Kontakt mit narzisstisch gestörten Menschen bald unwohl, entweder klein gemacht oder im hilfreichen Bemühen zur Ergebnislosigkeit verurteilt. Der Narzisst wiederholt und reinszeniert mit seinen Beziehungsangeboten die frühen Erfahrungen von Lieblosigkeit und mangelnder Bestätigung, die er sich durch Großspurigkeit oder demonstratives Klagen und Selbstabwertung reorganisiert. Man darf nicht glauben, dass dies leicht zu überwinden wäre; eine Abmilderung der ewig sich wiederholenden Beziehungsprobleme kann nur über Annahme und Verarbeitung des frühen Schmerzes gelingen.
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8 Die Angst vor Nähe
Die Angst vor Nähe ist eine schwer verständliche, widersprüchliche Erfahrung. Menschliche Nähe zu erleben, sie zu finden und herstellen zu wollen, ist ein soziales Grundbedürfnis, doch narzisstisch belastete Menschen scheuen davor zurück oder sind bemüht, immer wieder Distanz zu schaffen oder zu halten. Das ist eine spezifische Form der Abwehr des «Guten» mit der unbewussten Absicht, sich schmerzvolle Erinnerungen an ein Beziehungs-Nähe-Defizit zu ersparen. Der Narzisst lebt aus Gründen des Selbstschutzes zwischen der Idealisierung seiner selbst und der Abwertung anderer. Damit ist nach beiden Seiten Distanz gesichert. An die eigene Überhöhung reicht keiner heran und mit der Abwertung wird jeder andere aus der Beziehung verstoßen. Das Ziel, unbedingt Nähe zu vermeiden, ist damit auf Dauer gesichert.
Ich muss aber erklären, was hier mit «Nähe» gemeint ist, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Denn viele verstehen unter «Nähe» eine verschmelzende Beziehung mit dem Bedürfnis, vom anderen ganz und gar gewollt und gemeint zu sein oder den anderen ganz und gar zu lieben, was dann als vollkommene Übereinstimmung und kritiklose Zustimmung erlebt wird. Der andere wird zum «Selbstobjekt», wie wir Psychotherapeuten auch sagen – als ob er ein Teil von einem selbst wäre, der genau so ist, wie man es sich wünscht, und über den man im Grunde beliebig gemäß den eigenen Bedürfnissen verfügen kann. Diese Sehnsucht kennen viele und glauben auch daran, dies in einer Partnerschaft oder Freundschaft finden zu können, was zwangsläufig der Anfang vom Ende ist.
Die Selbstobjekt-Verfügung über eine andere Person ist ein zentrales Bedürfnis narzisstischer Störung: Da soll jemand
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