Die narzisstische Gesellschaft
davon ein Lied zu singen. Männerfeindliche Feministinnen eignen sich indessen sehr gut zur Übertragung negativer Mutterbilder. Die beinahe regelmäßige Ablehnung guter Mütterlichkeit bei Feministinnen bietet eine hervorragende Projektionsfläche, um die schlechten Erfahrungen mit der Mutter dort unterzubringen und stellvertretend zu bekämpfen. Muttersöhnchen dagegen bleiben die besten Frauenversteher und -bediener; stets sind sie versucht, alle Mütter und Frauen – auch und gerade, wenn diese im Unrecht sind – gegen Angriffe zu verteidigen und ihre Geschlechtsbrüder dabei zu verraten. Sie werden nicht müde, den Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts alle Wünsche von den Augen abzulesen und sie von vorn und hinten bis zur Selbstaufgabe und Erschöpfung zu bedienen. Vatertöchter finden ihre narzisstische Regulation durch die Bestätigung von Männern, denen sie hilfreich sind, Muttersöhne durch die Anerkennung der von ihnen bedienten Frauen. Die Tragik ist dabei immer die gleiche: Die beschriebene geschlechtsspezifische Regulation ist hilfreich und führt doch nie zur wirklichen Befriedigung des ursprünglich narzisstischen Defizits. Der Preis für diese Regulation ist allerdings auch hoch: Die Entwicklung guter Männlichkeit und Weiblichkeit wird auf diese Weise verhindert.
Die Gesellschaft hält typische geschlechtsspezifische Möglichkeiten zur narzisstischen Kompensation und Abwehr des nagenden Mangelgefühls bereit. Wir müssen dabei ein komplexes System religiöser, kultureller, ökonomischer, sozialer sowie politischer Einflüsse auf die Geschlechter, aber auch biologisch-körperliche und psychologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen berücksichtigen. Die Grenzen zwischen den Geschlechtern können zwar verschwimmen, doch niemals ganz aufgelöst werden. Wir müssen aber auch verstehen, wie Geschlechtsunterschiede wesentlichen Einfluss auf die soziokulturelle und ökonomische Ausgestaltung der Gesellschaft nehmen. Die Triebenergien für Fortpflanzung und «Brutpflege», die komplexe Wirkung der geschlechtsdominanten Hormone wie Testosteron und Östrogen mit Wirkung auf Körperbau und Psyche fordern ihren Tribut. Männer und Frauen sind nicht gleich. Gesellschaftsverhältnisse können männliche und weibliche Rollen und Funktionen zwar überbetonen oder nivellieren, aber es bleiben entscheidende Unterschiede, die auch die Entwicklung der Gesellschaft mitprägen.
So findet der männliche Narzissmus vor allem in Machtfunktionen eine gute Kompensationsmöglichkeit, der weibliche Narzissmus im Schönheitskult. Die Übername von Führungsfunktionen gibt Männern narzisstische Zufuhr – wenn sie sich als wichtig und unentbehrlich erleben können, wenn sie entscheiden dürfen, wenn ihre Meinung und ihr Rat gefragt sind und wenn es nur noch einer Unterschrift bedarf, um die Welt zu bewegen. Führung ist notwendig und kein Makel, keine Störung, solange sie auf der Grundlage von Kompetenz und gesichertem Selbstwert ausgeübt wird. Wer jedoch am Stuhl der Macht «klebt», wer immer mehr Einfluss anstrebt, wer die eigene Karriere über alle anderen Interessen stellt, Konkurrenten «wegbeißt», abwertet und bekämpft, Mitarbeiter mobbt und die Familie vernachlässigt, der lässt in seiner Führungsfunktion eine narzisstische Störung erkennen.
Der Narzisst an der Macht redet in Phrasen, stellt die eigenen Leistungen auffällig heraus und wertet andere Menschen, Erfolge oder Positionen grundsätzlich ab, gibt nie Fehler oder Schwächen zu oder nur, wenn diese nicht mehr zu verbergen sind – und dann wird aus einem Schuldbekenntnis sofort eine ehrenhafte Heldentat. Die Konarzissten lassen natürlich kein Versagen ihres Verehrungs-«Objektes» zu, weil sie dann ihren eigenen Irrtum eingestehen und sich selbst in Frage stellen müssten. So entstehen die grotesken Bilder von Claqueuren und fanatischen Anhängern, die bis zum letzten «Blutstropfen» an ihrer Illusion festhalten und die Realität bis hin zur Absurdität verzerren und verleugnen. Ich habe mich als Heranwachsender oft gefragt, wie Menschen einem Hitler folgen oder wie die offenkundigen propagandistischen Lügen im real existierenden Sozialismus geglaubt werden konnten – so dumm und ungebildet kann doch die Mehrheit eines Volkes nicht sein –, bis ich die enorme Wirkkraft der narzisstischen Abwehr und Kompensation begriffen habe. Die narzisstische Störung macht tatsächlich «blöd», engt erheblich den Erkenntnisspielraum
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