Die narzisstische Gesellschaft
Störungen zusammen. [6] Der eine Partner verfügt über die Eigenschaften, die dem anderen fehlen – so bilden sie gemeinsam ein Ganzes und stabilisieren sich wechselseitig. Das «Ganze» ist aber keine neue Qualität, sondern eine Notgemeinschaft, die keiner verlassen kann, ohne den anderen in eine tiefe Krise zu stürzen. Beide haben ein zu schwaches Selbstwertgefühl und brauchen einander: So wird der eine vom anderen idealisiert und bewundert, und mit dieser so wichtigen Funktion stabilisiert sich auch der dienstbare Bewunderer. Beide können sich großartig fühlen: der eine durch ständige Zufuhr und der andere durch praktizierte Unterstützung sowie durch Zugehörigkeit zur vermeintlichen Größe.
Auf diese Weise passen Größenselbst und Größenklein ausgezeichnet zusammen: Die als Kind nicht erfahrene Bestätigung kommt jetzt vermeintlich vom Partner und mit dieser Aufgabe darf sich dieser als wichtig und bedeutend erleben. Diese sich ergänzende Beziehungskonstellation hat immer auch etwas Zwingendes; keiner von beiden darf seine Funktion verlassen, der «Große» muss groß bleiben und der «Kleine» klein. Doch beide Rollen sind nur Ersatz oder Kompensation. Der scheinbar Überlegene, Dominante delegiert seine verborgene Schwäche und Bedürftigkeit an den anderen, deshalb darf dieser nie wachsen und reifen. Und der scheinbar Unterlegene und Abhängige delegiert seinen narzisstischen Anspruch an den Partner, deshalb darf dieser nie wirklich schwach werden. Das führt dazu, dass man sich den anderen auch dann noch «schön» sieht und tausend Entschuldigungen und Erklärungen parat hat, wenn Fehler und Schwächen beim Großartigen nicht mehr zu übersehen sind. Alle Entwicklungsbemühungen des Unsicheren hingegen – wie sie durch Therapie in Gang gebracht werden können – werden vom Partner verhindert oder untergraben.
Die Kollusion hilft beiden, sich narzisstisch zu stabilisieren, jede Veränderung lässt die gemeinsame Abwehr labil werden und führt in die Krise. Entwickelt sich der Abhängige, wird der Größenselbst-Partner alles Erdenkliche tun, um sich selbst ganz besonders zu beweisen und den Schwachen auf seine Bewunderungspflicht zu verweisen. Das geschieht selten direkt, sondern eher versteckt: «Das musst du doch einsehen!», «Was ist bloß los mit dir?», «Wer hat dir denn das eingeredet?», «Das schaffst du nie (allein)!», «Ich kann das nicht verstehen, was willst du nur? Du hast doch alles!», «Das kann nicht gut gehen!», «Schau mal, das ist doch so …», «Du kommst ohne mich nicht zurecht!» Und wenn alles nichts mehr hilft, verlangt das Größenselbst, die Beziehung zu beenden und den Partner zu verlassen, um auf keinen Fall selbst verlassen zu werden. Verlassenwerden ist eine unannehmbare Schmach und würde das gesamte Größen-gebäude zusammenbrechen lassen. Der Größenklein-Partner hingegen braucht gewissermaßen das Erleben des Verlassenwerdens; dadurch wird sein Weltbild des schuldigen Versagens bestätigt. Zu verlassen vermittelt eine vermeintliche Souveränität und Unabhängigkeit und entspricht dem Selbstbild des Narzissten (im Größenselbst); Verlassenwerden ermöglicht traurige oder verbitterte Enttäuschung und schützt damit die schon längst erlebte frühe Verlassenheit durch Liebesmangel (im Größenklein). So bedient sich das narzisstische Paar noch in der Trennung wechselseitig. Der eine wertet alles bis dahin Gute prinzipiell ab und tröstet sich schnell in einer neuen kollusiven Partnerschaft. Der andere verfällt leicht in eine abnorm lange Trauerreaktion mit Selbstvorwürfen und verzagter Hoffnungslosigkeit, mitunter bis zur Suizidalität.
Im Grunde genommen verhindert die narzisstische Störung eine echte Partnerschaft gleichrangiger Menschen, die ihre Gemeinschaft verhandeln und ihre Verschiedenheit respektieren, so dass jeder auch für sich selbst gut leben könnte, aber in der Partnerschaft eine hilfreiche und lustvolle Bereicherung für all die Angelegenheiten erlebt, die zu zweit einfach mehr Genuss ermöglichen: sich in wichtigen Dingen auszutauschen, sich beraten und helfen zu lassen, wo es notwendig ist, sich durch Mitteilungen zu entlasten, sich verstanden und bestätigt erleben zu können, unvermeidbare Kritik zu erfahren, die vor weiteren Fehlern oder falschen Einschätzungen und ungünstigen Entscheidungen schützt, sinnvolle Arbeitsteilung und gute Elternschaft zu praktizieren, sich in Not und Krankheit beizustehen, die Freizeit
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