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Die narzisstische Gesellschaft

Die narzisstische Gesellschaft

Titel: Die narzisstische Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Joachim Maaz
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erkennen. So ist es für viele Betroffene undenkbar, auf einen Vorwurf der Mutter, zum Beispiel: «Warum rufst du mich nicht an?», zu antworten: «Ich habe jetzt gar keinen Gesprächsbedarf, ich bin mit eigenen Aufgaben sehr beschäftigt. Aber wenn du mich sprechen willst, warum rufst du dann nicht an?» Das neurotische Schuldgefühl – im Unterschied zu wirklicher Schuld – lässt einen derart völlig normalen, abgrenzenden Gedanken gar nicht zu und mithin auch nicht die Erkenntnis, dass Eltern mit solchen Erwartungen eine schwere Störung signalisieren, die, folgt man ihren Vorwürfen, im Grunde die Eltern «entmündigt», als könnten sie nicht selbst für ihre Lebensgestaltung sorgen und als seien sie etwa nicht einmal des Telefonierens mächtig.
    Die Hilfe für beide Seiten kann nur darin bestehen einzusehen, dass Kinder nicht für ihre Eltern da sein können, aber Eltern gut für ihre Kinder sorgen müssen. (Natürlich bezieht sich diese Aussage nicht auf selbstverständliche menschliche und familiäre Unterstützung sowie auch die juristisch verankerte Verpflichtung bei realer Hilfsbedürftigkeit und Pflegenotwendigkeit der Eltern.)
    Am wichtigsten für eine kompetente Elternfunktion ist die Fähigkeit und Bereitschaft, eigene Schwierigkeiten, Fehler und Behinderungen auch als eigenes Problem zu begreifen und nicht die Kinder dafür verantwortlich zu machen. Natürlich werden Kinder immer auch die Schwächen und wunden Punkte ihrer Eltern sehen und herausfordern; in diesem Fall mag es für die Eltern besonders schwierig sein, nicht die Auslöser zu den Verursachern zu erklären. Das Beste wäre natürlich, die Eltern zeigten Bereitschaft, auf dem Weg der Beratung und Therapie ihre Probleme zu verstehen und womöglich zu vermindern. Sie sollten es schaffen, ihre Kinder in deren Leben – das sich mitunter stark vom elterlichen Leben unterscheiden mag – zu entlassen und sie auf ihrem Weg zu bestätigen. Solange es erforderlich ist – aber auch nur so lange –, sollten sie ihre Kinder auch angemessen unterstützen. Kinder können im Grunde aber nie Schuld am Unglück ihrer Eltern tragen und sie sind auch nicht für das Wohlergehen der Eltern zuständig. Dafür sind Eltern allein verantwortlich; erst mit diesem Selbstverständnis und dieser Fähigkeit besitzen Mann und Frau die Reife zur Elternschaft. Selbst wenn Kinder durch ein tragisches Unglück oder eine schwere Erkrankung ihren Eltern großes Leid bereiten, stehen die Eltern in der Verantwortung, das so schwer Annehmbare zu verarbeiten. Eltern, die aus narzisstischen Defiziten heraus alle Hoffnung auf ihre Kinder richten, haben dann natürlich auch extreme Schwierigkeiten, Schicksalsschläge zu überwinden; dann wird das tote oder kranke Kind zur «Plombe» für die eigene Not. Das große reale Leid wird so allmählich zum Ersatzleid des eigenen unerfüllten Lebens.
    Es gibt kein Sozialverhalten in unserer Kultur, das nicht durch ethische Normen, durch Regeln und Gesetze bestimmt wäre, und es gibt praktisch keinen Beruf ohne entsprechende Ausbildung und Prüfung. Warum gibt es keine verpflichtenden Elternschulen für die wichtige und anstrengende, aber auch erfüllende Arbeit und Verantwortung als Eltern?
    Die Fähigkeit zur guten Elternschaft, zu Verständnis und Toleranz für Kinder, für ihre Andersartigkeit, aber auch Zeit, Geduld und Empathie sind natürlich bei allen Eltern mehr und weniger begrenzt vorhanden. Entscheidend für die Kinder ist, dass ihnen diese Begrenzung als Problem der Eltern vermittelt und nicht projektiv den Kindern zugeschrieben wird: «Du bist schuld, dass …», «Weil du so bist …», «Deinetwegen habe ich …»
    Narzisstische Eltern sind immer in Gefahr, Schuld auf ihre Kinder zu projizieren. Sie brauchen die (irrtümliche) Überzeugung, nur das Beste für ihre Kinder zu wollen und zu tun, um sich über ihre Kinder und die Elternfunktion narzisstisch zu stabilisieren. Wenn das dann keine Früchte trägt, liegt es natürlich an den Kindern oder den Verhältnissen.
    Elternschaft besteht in der Verantwortung, eigene Probleme selbständig zu bewältigen, um die Kinder damit so wenig wie möglich zu belasten und sie bestmöglich zu begleiten, zu bestätigen und zu fördern. Gute Elternschaft mündet stets in die Freiheit der Kinder.

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    18 Die narzisstische Partnerschaft
    Die narzisstische Partnerschaft ist immer kollusiv, das heißt, zwei Partner passen mit ihren gleichwertigen, aber einander gegenläufigen

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