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Die narzisstische Gesellschaft

Die narzisstische Gesellschaft

Titel: Die narzisstische Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Joachim Maaz
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egoistisch, brutal, gemein, sogar gewalttätig geworden sind, als hätten sie die hirnorganische Veränderung gewissermaßen gebraucht, um die im Größenklein permanent unterdrückte Aggressivität und den narzisstischen Anspruch endlich zum Ausdruck bringen zu können. Vielleicht müssen die hirnorganischen Abbauprozesse, die sich als Alzheimer-Erkrankung oder andere dementielle Prozesse manifestieren, auch im Dienste der somatisierten narzisstischen Abwehr gesehen werden. Der hirnorganische Abbau schützt – bei aller Tragik – vor der bitteren Erkenntnis des falschen Lebens.
    So besteht die Aufgabe und Kunst darin, Altern nicht nur als Verlust zu erleben, sondern als einen spezifisch zu gestaltenden Lebensabschnitt zu verstehen. Um das Ende, die Endlichkeit des Lebens akzeptieren zu können, müssen vor allem die individuellen Begrenzungen gesehen und angenommen werden. Die Aufgabe ist, endlich zur Ruhe, zum Frieden mit sich und der Welt zu kommen, zur Zufriedenheit mit seinem gelebten Leben zu finden, mit allem darin eingeschlossenen Unglück.
    Konkret heißt das, das Erfahrene zu verstehen, das Gesammelte zu ordnen, Unerledigtes abzuschließen, Kämpfe zu beenden und Beziehungen zu klären. Dazu bedarf es der emotionalen Verarbeitung, der Reflexion und der Mitteilung. Es geht nicht mehr um den Stolz der Erfolge und die Schmach der Niederlagen, sondern darum zu verstehen, wie und weshalb Erfolge möglich oder notwendig und warum Niederlagen unvermeidbar waren. Es geht nicht mehr um die Bewertung, sondern um die verstehende Einsicht, etwa auch dessen, dass mancher Erfolg unnötig, überflüssig, falsch und schädlich für einen selbst oder für andere gewesen ist und dass manche Niederlage wesentliche Erkenntnis, Entwicklung und Reife initiiert hat. So kann Frieden werden. Und man kann – so die optimale Variante der Bewältigung des narzisstischen Problems – in Ruhe abwarten und das Alltägliche tun und genießen, bis man an der Reihe ist, diese Welt zu verlassen.

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    21 Die Therapie der narzisstischen Störungen
    Prävention ist besser als Therapie. Diese Lebensweisheit richtet sich gegen zwei gesellschaftliche Strömungen: gegen eine kommerzialisierte Medizin, die an Krankheiten verdient, statt sie mit dem spezifischen medizinischen Wissen verhindern zu helfen, und gegen eine politisch gewollte Lebensform mit einem hohen pathogenen Potential infolge von Leistungsstress, Konkurrenzdruck, Reizüberflutung, Mobilitätszwang und sozialer Ungerechtigkeit.
    Die Bedeutung von Prävention ist beim Thema narzisstische Störungen deshalb besonders brisant, weil die Folgen frühen Liebesmangels im Grunde nicht mehr wirklich heilbar sind. Diese bittere therapeutische Erfahrung wird durch die Erkenntnisse der Neurobiologie und Hirnforschung insofern gestützt, als die frühe Entwicklung des Gehirns, die Art der neuronalen Vernetzung, sehr stark von den ersten Beziehungserfahrungen des Menschen abhängig ist. Das Gehirn bildet sozusagen «Beziehungsrepräsentanzen» ab, das heißt, die Qualität der ersten Beziehungserfahrungen mit Mutter und Vater entscheidet darüber, was sich dem Menschen neuronal einprägt. Frühe Beziehungen bilden eine Art neuronaler Erfahrungsschablone, die wesentlichen Einfluss auf die spätere Wahrnehmung und Bewertung der Lebensereignisse nimmt. Verschärft wird dies noch dadurch, dass die neuronale «Schablone» als Beziehungsrepräsentanz alle späteren Beziehungen beeinflusst. Die neueste Forschung zur «Epigenetik» geht sogar davon aus, dass der Einfluss der frühen Beziehungserfahrungen sich selbst auf die Aktivierung des Erbgutes, also der Gene, erstreckt und auch die Behinderung ihrer Entfaltung und Wirkung umfasst. Dabei spielen erlebte liebevolle Zuwendung, sichere Bindung und die hilfreichen Erfahrungen von Bestätigung, Trost und Unterstützung eine wesentliche Rolle für den genetisch begründeten Anteil, etwa den von Vertrauen, Geduld und Toleranz.
    In der psychotherapeutischen Praxis kennen wir schon lange den sogenannten «Wiederholungszwang»; er meint, dass Menschen immer wieder – unbewusst – Verhältnisse suchen oder herstellen, die ihren bisherigen Erfahrungen entsprechen, wodurch etwa auch die Berufswahl, die Partnerwahl, die Ausgestaltung von Beziehungen, die Lebensform und das Weltbild motiviert werden. Dies kann tragische Ausmaße annehmen, wenn defizitäre und verletzende frühe Erfahrungen prägend geworden sind und es, davon abhängig, in einer

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