Die Naschmarkt-Morde
zurückgeschickt hatte, stierte er eine Zeit lang ins Leere. Schließlich reinigte er seinen Schnurrbart, zündete eine Virginier an und nahm einen großen Nussschnaps zu sich. Das führte zu einer gewissen Entspannung, der seelische Knopf löste sich. Und plötzlich hatte er eine Eingebung, wie er diesem vertrackten Tag vielleicht doch noch eine positive Wende geben könnte.
XI/2.
Nechyba stieg schnaufend die Treppen des herrschaftlichen Zinshauses zur Beletage 56 empor. Vor der Wohnungstür Nummer 7, auf der ein Messingschild mit der Aufschrift ›Hofrat Dr. Schmerda‹ angebracht war, hielt er mit einem Seufzer der Erleichterung inne. Aufgrund seiner Nachforschungen wusste er, dass Aurelia Litzelsberger 36 Jahre alt und ledig war. Sie hatte in einem erzherzöglichen Haushalt das Kochen erlernt und stand nunmehr seit fast zehn Jahren im Dienst der Familie Schmerda. All das hatte er ohne großen Aufwand in der Polizei-Direction in Erfahrung gebracht; er war von seiner Abteilung (III. Section, k. k. Polizeiagenteninstitut) hinüber in die I. Section (Central-Paßamt, Gewerbepolizei und Hausierwesen, Dienstbotenwesen) gegangen und hatte dort den Akt der Aurelia Litzelsberger (Dienstbotenbuch, Dienstzeugnisbestätigungen etc.) ausheben lassen.
Nachdem er einige Male tief durchgeatmet hatte, läutete er mit zitterndem Zeigefinger an der Messingklingel. Er hörte, wie sich Schritte näherten, das Schloss wurde aufgesperrt, und er blickte nicht in das Antlitz einer gestandenen Frau, sondern in das runde Bauernmädl-Gesicht der Mizzi Pichlmayr.
»Ah, der Herr mit dem Rumpsteak …«, sagte diese freundlich lachend. Nechyba räusperte sich, besann sich seiner amtlichen Würde und brummte: »Richtig, Kinderl. Sag, ist die Köchin, die Aurelia Litzelsberger, da? Mit der möchte ich sprechen. Weißt eh, Inspector Nechyba …«
»Ja, die ist da. Wir tun gerade in der Küche das Abendessen zubereiten. Wenn Sie bitte weiterkommen, Herr Inspector.«
Nechyba trat ins Vorzimmer der Schmerda’schen Wohnung ein, Mizzi schloss die Tür und plauderte drauflos: »Kommen Sie nur weiter, die Küche befindet sich am Ende des Ganges. Sie können ruhig weitergehen, die Herrschaft ist heute samt und sonders nicht zu Haus …«
Sie öffnete die Küchentür und blökte: »Frau Aurelia! Besuch für Sie!«
Nechyba trat in die geräumige Küche ein, schnupperte die Kochgerüche, nahm gleichzeitig die Melone vom Haupt, verbeugte sich kurz und bekam knallrote Ohren, die sich von seinem Schädel, auf dem eine kurze, graublonde Bürste stand, aufs Groteskeste abhoben. Was er sah, erfüllte all seine Hoffnungen. Am dampfenden Herd stand in weißer Bluse mit hochgekrempelten Ärmeln, schwarzem Rock und weißer Schürze ein Weib so ganz nach seinem Geschmack: von großem, kräftigem Wuchs, weder dick noch dünn, mit ebenmäßigem Gesicht, auf dem sich infolge der Hitze des Herdes winzige Schweißperlen zeigten. Das dunkle, volle Haar war über dem Nacken zu einem Knoten hochgesteckt. Sie hatte die rechte Augenbraue unwillig hochgezogen, ihr Blick war kühl und forschend. Nechyba fühlte, wie er unter ihrem Blick ganz klein wurde. Er schrumpfte in Sekundenbruchteilen zu einem unerwünschten Insekt, das es gewagt hatte, in das Reich einer Königin einzudringen. Das Einzige, was jetzt noch half, war die Flucht nach vorne: Unbeirrt schritt er auf sie zu, brachte vor der Wölbung seines Leibes ruckartig das putzige Blumensträußerl, das er im Hergehen gekauft hatte, in Stellung und sagte: »Sehr geehrte Frau Litzelsberger, entschuldigen Sie bitte, dass ich so hereinplatze. Aber ich hab mir halt gedacht, dass es schon schicklich wäre, wenn ich mich für das vertauschte Rumpsteak, das welches Sie … Sie mir so nett waren, zustellen zu lassen, weil ich sonst kein Abendessen gehabt hätte, was wiederum … jedenfalls wollt’ ich mich … persönlich bei Ihnen ganz herzlich bedanken …«
»Ist das für mich? Das Sträußerl?«, fragte die Litzelsbergerin, die sich ob des unbeholfenen Auftretens des hünenhaften Mannes ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte. »Na, geben Sie’s schon her, sonst zerdrücken Sie es am Ende noch zwischen Ihren Fingern. Das wäre doch schade …«
Er überreichte ihr das Bouquet, und sie schickte Mizzi um eine Vase. Die Köchin schnupperte an den Blumen, musterte den verlegen dastehenden Nechyba und sagte: »Jetzt ziehen Sie sich einmal den Überzieher aus und hängen ihn da hinten auf den Haken. Sonst trifft Sie am
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