Die Naschmarkt-Morde
Aloysius. Schön, dass du wieder zu meiner Kartenrunde gestoßen bist. Darf ich dir meine Gäste vorstellen? Heute habe ich die Freude, dir Adalbert Graf Sternberg vorstellen zu dürfen. Es freut mich ganz besonders, dass er mir nach längerer Zeit wieder einmal einen Besuch abstattet. Meinen anderen Gast kennst du sowieso … Den Grafen Borowicz brauche ich dir ja nicht vorzustellen. Mir scheint, ihr seid ja sogar verwandt miteinander … Er springt heut Abend für den Generalleutnant von Gromann ein, der leider verhindert ist.«
Bei der Vorstellung der Mitspieler löste sich die innere Anspannung Schönthal-Schrattenbachs mit einem Schlag. Nun wusste er, dass ihn das flaue Gefühl in der Magengrube nicht getäuscht hatte. Franciscus Borowicz, der vermaledeite Unglücksbringer, lauerte ihm in hinterhältiger Weise hier auf, um ihn in weitere Spielschulden zu stürzen. Am liebsten hätte er auf der Stelle kehrtgemacht und Reißaus genommen. Aber das war undenkbar. Denn schon trat Adalbert Graf Sternberg auf ihn zu und schüttelte ihm mit kräftigem Druck die Hand. Auch der Unglücksbringer näherte sich und reichte ihm ein frisch gefülltes Champagnerglas: »Servus und prost, lieber Loysi!«
Montenuovo und Sternberg griffen ebenfalls zu ihren Gläsern, der Hausherr sprach einen Toast: »Auf meine Gäste und auf einen spannenden Abend am Kartentisch! Möge Fortuna uns ihre Gunst schenken …«
Sternberg trank sein Glas ex und gab ein wohliges Ahhhh von sich. Schönthal-Schrattenbach hingegen nahm nur einen kleinen Schluck, der wie pure Säure seinen Schlund hinunterbrannte. Der Fürst klingelte nach einem Lakaien, der ein Tischchen in das Zimmer schob, auf dem sich Sandwichs, Roastbeef, Garnelen, geräucherter Lachs und Aal, diverse Schalen mit kalten Soßen sowie ein Körbchen mit Jour-Gebäck befanden. Borowicz verwickelte Sternberg in ein Gespräch über dessen Ambition, bei den kommenden Wahlen Reichstagsabgeordneter zu werden. Montenuovo flüsterte Schönthal-Schrattenbach zu, dass es gar nicht so einfach gewesen war, Sternberg heute Abend an den Kartentisch herzulocken. Ursprünglich hätte dieser nämlich vorgehabt, bei einer Wahlversammlung im böhmischen Königgrätz eine Rede zu halten; Gott sei Dank sei diese Versammlung nun verschoben worden. Die Herren plauderten noch eine Weile, tranken Champagner und delektierten sich an den dargebotenen Köstlichkeiten. Der Baron beteiligte sich an all dem kaum. In ihm machte sich ein Gefühl breit, das wie kaltes Gift durch seine Adern kroch – paralysierend und erhellend zugleich. Die Gewissheit konkretisierte sich, dass er heute Abend ein finanzielles Fiasko erleben werde. Die Hoffnung, Montenuovo und von Gromann einiges Geld abknöpfen zu können, war null und nichtig. Denn mit dem erfahrenen und risikofreudigen Sternberg gab es kein vorsichtiges und zurückhaltendes Spiel. Dazu kam als sein persönliches Handicap die Person des Franciscus Borowicz.
»Meine Herren, genug der Worte. Lasset uns zu Taten schreiten.«
Damit bat der Hausherr seine Gäste an den Spieltisch. Man ließ sich nieder, die Karten wurden gemischt, verteilt, das Spiel begann, und das Unglück näherte sich Schönthal-Schrattenbach in einer besonders grausamen Verkleidung. Während der ersten Stunde schien es nämlich, als ob ihm Fortuna trotz Borowicz’ Anwesenheit wohlgesinnt sei. Er hatte eine unglaubliche Glückssträhne und gewann ein hübsches Sümmchen. Das führte dazu, dass ihm erstens der Champagner immer besser mundete und zweitens, dass er bei der Spieltaktik jegliche Vorsicht fahren ließ. Er riskierte immer mehr, wurde nervös, ließ sich von seinen Mitspielern zu waghalsigen Manövern reizen, leistete sich Konzentrationsfehler und hatte nach einer weiteren Stunde das zuvor Gewonnene wieder verloren. Der Spielrausch hatte nun vollends Besitz von ihm ergriffen; er riskierte immer mehr und verlor. Als Montenuovo knapp vor 5 Uhr morgens die Partie beendete, schuldete Schönthal-Schrattenbach dem Grafen Sternberg über 20.000 Goldkronen. Seine Schulden gegenüber Montenuovo und Borowicz waren im Vergleich dazu kaum der Rede wert. Der Aufbruch war kurz und formlos, der Hausherr zog sich ohne große Verabschiedung in seine Privatgemächer zurück, Borowicz, ebenfalls todmüde, empfahl sich eiligst. Sternberg und Schönthal-Schrattenbach standen plötzlich allein vor dem Palais in der Löwelstraße. Der Graf gähnte herzhaft, klopfte dem verdutzten Baron auf die Schulter und
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