Die Naschmarkt-Morde
dem Mord am Naschmarkt, über den sie aus berufenem Munde nun Details wissen wollte. Der verliebte Nechyba pfiff auf jegliches Amtsgeheimnis und erzählte der Köchin den aktuellen Stand der Ermittlungen: Dass das Mädel von hinten angefallen, zuerst mit den Händen gewürgt und dann mit einem Schal oder Tuch erdrosselt worden war. Dass ein Polizeiagent aus seiner Gruppe einen Verdächtigen am Naschmarkt verhaftet hatte – es war dies der ihnen beiden bekannte Fleischergeselle Anastasius Schöberl –, wie es leider ja schon heute morgen in der Zeitung zu lesen stand.
Was noch geheim war, war die Identität der Ermordeten. Es handelte sich dabei um die Gräfin Hermine von Hainisch-Hinterberg. Als er diesen Namen erwähnte, ließ Mizzi mit einem spitzen Aufschrei eine Steingutschüssel fallen. Sie erntete dafür einen bösen Blick der Köchin und erregte des Inspectors berufliche Neugierde.
»Was hast du denn, Kinderl? Warum schreckst du dich so?«
Mizzi wurde knallrot im Gesicht, bückte sich und sammelte die Scherben auf.
»So antworte doch dem Herrn Inspector!«, wurde sie in strengem Ton von der Köchin ermahnt. Darauf stotterte sie: »Na, es ist ja nur … weil … wegen dem Brieferl …«
»Was für ein Brieferl, Mizzi?«, die Litzelsbergerin übernahm wie selbstverständlich die Rolle derjenigen, die das Verhör führte.
»Na das, was mir der Stani diktiert hat.«
»Stani? Wen meinst denn? Was hat er dir diktiert?«
»Na, der Stani mit dem weißen Papagei, der was Planeten verkaufen tut.«
»Und …?«
»Der hat mich neulich am Vormittag, wie ich am Naschmarkt einkaufen war, gebeten, dass ich ihm ein Brieferl schreib an die Gräfin Hainisch-Hinterberg und dass ich es ihm dann auch dorthin trage.«
Jetzt schaltete sich Joseph Maria Nechyba ein, fragte nach dem Inhalt des Briefes, den die Mizzi recht exakt wiedergab. Das dadurch ans Licht gekommene Verhältnis zwischen dem Naschmarktfaktotum und der Gräfin verblüffte die Köchin.
»Das ist heute schon das zweite Mal, dass ich von dieser unglaublichen Mesalliance hör …«, murmelte Nechyba und fragte: »Bist du sicher, dass du das Brieferl der Gräfin Hainisch-Hinterberg übergeben hast?«
»Freilich, ich war doch in dem Haus bei ihr, im ersten Bezirk, in der Fichtegasse Nummero 8. Dort hab ich, so wie es mir der Stani aufgetragen hat, bei Schönthal-Schrattenbach geläutet. Und dann hat mir ein Dienstmädel aufgemacht. Und als ich die Gräfin Hainisch-Hinterberg verlangt habe, ist plötzlich der junge Herr dahergekommen. Der hat mir barsch das Brieferl abgenommen und gesagt, dass ich gefälligst verschwinden soll. Richtig grob war der …«
»Und wann genau warst du dort in der Wohnung, Kinderl?«
Mizzi legte den Kopf schief, dachte kurz nach und sagte: »Das kann ich Ihnen ganz genau sagen: Es war an dem Tag vor der Nacht, in der was das Fräulein am Naschmarkt erwürgt worden ist.«
XII/2.
Auf seinem Heimweg machte Nechyba noch einen Abstecher in die Theobaldgasse. Dort befand sich das Polizeigefangenhaus, ein mächtiges Gebäude, das ursprünglich als Karmeliterkloster errichtet worden war. An die Krempe seiner Melone tippend und den Dienstausweis zückend, nuschelte er: »Inspector Nechyba, Polizeiagenteninstitut, Polizei-Direction Wien.«
Der Wachposten antwortete verschlafen: »Grüß Gott, Herr Inspector! Wen hätten wir denn gern?«
»Einen, der im Laufe des gestrigen Abends vom Kommissariat Wieden zu Euch überstellt worden ist. Schöberl heißt er, Anastasius Schöberl.«
»Augenblick, den haben wir gleich …«
Der Wachebeamte blätterte in einem dicken Buch, murmelte dann »Aha« und wandte sich wieder dem Kriminalpolizisten zu: »Das betreffende Subjekt sitzt im 1. Stock in der Zelle 127. Wollen ihn der Herr Inspector dort befragen oder sollen wir ihn in ein Verhörzimmer bringen?«
»Ein Verhörzimmer wäre mir lieber«, antwortete Nechyba, worauf der Wachebeamte einen Kollegen zu sich rief und diesem folgende Instruktionen gab: »Czerny! Begleite den Herrn Inspector hinauf zum Diensthabenden im 1. Stock. Dort fragst du nach einem gewissen Anastasius Schöberl und nach einem Verhörzimmer für den Herrn Inspector.«
Besagtes Verhörzimmer war ein düsteres Loch mit einem wackeligen Tisch und zwei nicht minder wackeligen Stühlen. Als Nechyba sich auf einen von ihnen niederließ, ächzte er gewaltig. Nach circa fünf Minuten wurde Schöberl gebracht. Nechyba beschied dem begleitenden Wachebeamten, dass er sich mit Schöberl
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