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Die Naschmarkt-Morde

Titel: Die Naschmarkt-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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nur mütterliche Gefühle für den Gotthelf hegte und dass sie deshalb eifersüchtig war. Dass Gotthelf behauptete, mit einer adeligen Dame ein Verhältnis zu haben, war aufgrund des eklatanten Standesunterschiedes äußerst unglaubwürdig. Obwohl … Was machte die Gräfin Hainisch-Hinterberg – ihr Cousin hatte sie in der Pathologie identifiziert – ohne Begleitung in einer Gegend, in der untertags Marktweiber, Dienstmädchen, Köchinnen, Hausfrauen, Bettlerinnen und nächtens vor allem Huren anzutreffen waren? Wieso ging sie zu Fuß und fuhr nicht mit einem Fiaker? Diese Fragen wären plötzlich alle geklärt, wenn sich herausstellen würde, dass sie mit dem Gotthelf ein Rendezvous hatte.
     
    Nechybas Stimmung wurde noch übler, als er sich an einem Zeitungsstand eine Morgenausgabe mit riesigem Aufmacher kaufte. Die von Leo Goldblatt verfasste Schlagzeile ›Mord am Naschmarkt: K. k. Polizeiagent verhaftet den Fleischergesellen Anastasius Schöberl‹ sowie der dazugehörige Artikel ergrimmten den Inspector. Nechyba fühlte sich übergangen und verletzt. Kaum dass er – in seinem Arbeitszimmer angekommen – den Hut abgenommen, seinen feuchten Überzieher ausgezogen und zum Trocknen aufgehängt hatte, klopfte es an der Tür, und Pospischil trat ein.
    »Wünsche einen schönen guten Morgen, Herr Inspector!«, grüßte er. Dabei salutierte er und schlug die Hacken zusammen – so wie er es als Rekrut bei seinem k. k. Landwehrregiment gelernt hatte.
    »Pospischil …«, knurrte Nechyba. »Was machen Sie sich wichtig? Was ist los?«
    »Melde gehorsamst, Herr Inspector, eine Frau, die am Getreidemarkt wohnt, möchte eine Beobachtung wegen des Frauenmordes melden. Weiters sind da noch eine gnädige Frau, eine Hausmeisterin, ein Dienstmädel und eine Fratschlerin, die in der betreffenden Causa ebenfalls etwas zu Protokoll geben möchten.«
    »Drücken Sie sich nicht so geschwollen aus, Pospischil. Sie sind kein Professor, sondern ein Kiberer 55 . Und ein Kiberer muss die Sprache des Volkes sprechen. Haben Sie verstanden, Pospischil?«
»Jawohl, Herr Inspector!«
    »Und außerdem, Pospischil … Was ist das für ein Blödsinn, der da in der Zeitung steht? Was ist Ihnen eigentlich eingefallen, den Schöberl zu verhaften und ihn der Presse als den Mörder vom Naschmarkt zu präsentieren? Hat man Ihnen ins Hirn geschissen, Pospischil? Das hat ein disziplinarrechtliches Nachspiel, Sie gottverdammter Blödist, Sie!«
    Nechyba, der seine Stimme von einem grantig leisen Ton zu voller Lautstärke gesteigert hatte, warf dem Untergebenen unzählige weitere Beleidigungen an den Kopf.
     
    Schließlich hatte er sich den Ärger von der Seele geschrien und gab Pospischil folgende Instruktion: »Bis Mittag hab ich einen schriftlichen Bericht über die Sache mit dem Schöberl auf meinem Schreibtisch. Und jetzt schicken Sie mir die Frau vom Getreidemarkt herein.«
    Nechybas gespannte Erwartungen wurden enttäuscht. Denn die gute Frau führte nichts anderes im Schilde, als ihren Nachbarn, der augenscheinlich einen extrem unbürgerlichen Lebenswandel führte, zu diskreditieren. Dieser Mensch komme ständig spät in der Nacht nach Hause, oftmals sturzbetrunken, verwüste regelmäßig die Gangtoilette und sei außerdem ein gefährlicher Choleriker, der sie schon öfters bedroht hatte. Sein Name: Leo Goldblatt.
    Dieser Zeugin folgten weitere, die alle nur eines im Sinn hatten: Mitbürger, Nachbarn, Bekannte oder Verwandte bei der Polizei anzuschwärzen. Kein einziger brauchbarer Hinweis entsprang diesen freud- und fruchtlosen Meldungen. Das Vernehmungsprotokoll, das ihm Pospischil zu Mittag auf den Tisch legte, besserte Nechybas Laune auch nicht. Es bestätigte nur seine Vermutung, dass Pospischil dem Schöberl unter Einwirkung von Gewalt ein absurdes Geständnis abgepresst hatte. Am liebsten hätte er Pospischil dafür … doch er verbot sich solche Gedanken. Summa summarum war der Vormittag die nahtlose Fortsetzung des üblen Morgens. Nechyba tat deshalb das, was er in unerfreulichen Situationen immer zu tun pflegte. Er verfügte sich an einen Ort, an dem er Leib und Seele laben konnte. Er verließ schleunigst die Polizei-Direction und begab sich ins neue Winterbierhaus in der Wipplingerstraße 11. Dort orderte er ein Glas frisch gezapftes Pilsener sowie ein Tellerfleisch. Leider stieß ihm das Bier sauer auf, und das in der Rindssuppe schwimmende Fleisch und Gemüse schmeckte ihm auch nicht. Nachdem er die Hälfte des Essens

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