Die Naschmarkt-Morde
sprach: »Wissen S’ was, mein lieber Baron? Jetzt sollten wir schauen, dass wir was Ordentliches zum Essen bekommen. Von dem Champagnisieren kriegt man ja Läuse im Magen. Gehen wir hinunter in die Leopoldstadt, da kenn ich ein Beisl am Karmelitermarkt, das um fünf in der Früh aufsperrt und das ein famoses Gulasch hat. Was halten Sie davon? So ein kleiner Spaziergang und ein kräftiges Frühstück tun uns sicher gut. Kommen Sie, ich lade Sie ein! Nach dem Frühstück nehmen wir uns dann einen Gummiradler 52 und lassen uns heimkutschieren.«
Als der Baron wie der Ochs vorm neuen Tor stehen blieb, nahm ihn Sternberg mit sanftem Druck beim Arm und schob ihn förmlich neben sich her den Tiefen Graben hinunter in Richtung Donaukanal. Dabei erzählte er allerlei Schnurren aus seinem bewegten Leben. Über Spielcasinos und Irrenanstalten, über die feinsten Salons des österreichischen, französischen und englischen Adels, über seine gescheiterte militärische Karriere sowie über zahllose Duelle, amouröse Affären und Trinkgelage. Natürlich sprach er auch über seine Schulden, die sogar dazu geführt hatten, dass ihm Ende letzten Jahres die Offizierscharge aberkannt worden war – Verletzung der Standesehre wegen leichtsinniger Auffassung hinsichtlich Spielschulden.
»Schauen Sie, Schönthal-Schrattenbach, kränken Sie sich nicht wegen der hohen Verluste heut Nacht. Wie ich so alt war wie Sie, hab ich mir wegen meiner Spielschulden sogar versucht, das Leben zu nehmen. Hat aber nicht geklappt. Dafür ließ mich mein Herr Papa ins Irrenhaus einsperren … Heut habe ich gut und gerne dreimal so viel Schulden wie damals, und es ist mir ehrlich gesagt wurscht. Im Gegenteil: Meine Geldgeber und Gläubiger sind auf das Rührendste um meine Person und mein Wohlergehen bemüht. Einer zum Beispiel studiert meinen Stammbaum und macht überall Reklame für meine edlen Blutströme. Ein anderer ist neulich im Winter, als er mich bei zehn Grad Kälte ohne Mantel auf der Ringstraße spazieren gehen gesehen hat, aus seiner Kutsche herausgesprungen. Und wissen Sie, was er gemacht hat? Er hat seinen Pelzmantel ausgezogen und ihn mir mit den Worten umgehängt: › Ich bitte Sie, Herr Graf, Sie bekommen mir sonst noch eine Lungenentzündung …‹«
Die beiden Herren betraten das Marktbeisl, und Sternberg bestellte mit trompetenartiger Stimme zwei doppelte Slibowitz. Er drängte Schönthal-Schrattenbach zu einem Tisch in einer finsteren Ecke und hörte sich gelangweilt dessen Lamento über das Spielpech an, das ihn nun schon monatelang verfolge. Als der Wirt zwei randvoll gefüllte Stamperln Schnaps servierte, nahm Sternberg sein Glas, erhob es und unterbrach die weinerliche Suada mit folgenden Worten: »Kusch und sauf!«
X/2.
Das morgendliche Befinden war übel. Rein wettermäßig betrachtet, war ein Adriatief, das sich über den Alpenbogen nordwärts verlagert hatte, schuld daran. Was Joseph Maria Nechybas Verdrießlichkeit noch mehr steigerte, war das unerquickliche Einkaufserlebnis des Gabelfrühstücks in der Greislerei Landerl. Die Greislerin war mürrisch und vermied jegliche freundliche Geste. Dieses Verhalten veranlasste ihn zu der Bemerkung: »Na, welche Laus ist Ihnen denn heute über die Leber gelaufen?«
»Eine Laus in der Größe eines Mannsbildes!«
»Aber, aber … hat er vielleicht was angestellt, Ihr Herr Gemahl?«
Als Antwort kam ein Knurren sowie folgende Tirade: »Ihr Männer! Ihr könnts den ganzen Tag saufen, blöd daherreden und nichts weiterbringen. Wir Frauen aber, wir müssen rund um die Uhr arbeiten. Kochen! Putzen! Waschen! Und was bekommen wir dafür? Keinen Dank! Sie brauchen sich nur den Meinigen anschauen … oder den Gotthelf, das G’fraßt 53 . Wie einen Ziehsohn habe ich ihn behandelt. Aber er ist genauso ein Falott 54 wie alle anderen Männer!«
Lotte Landerl hatte rote Backen bekommen und war so richtig in Rage: »Völlig besoffen ist er gestern Vormittag da zu mir hereingekommen. Eine Schande war das! Und dann, während ich ihm einen Kaffee gekocht hab, erzählt er mir, dass er sich wegen einer feinen Dame – einer Hochwohlgeborenen – so angesoffen hat. Weil die gnädige Frau nicht zum Rendezvous erschienen ist …«
Ohne lange zu gustieren, kaufte Nechyba ein Semmerl sowie 10 Deka Extrawurst und verließ schleunigst die echauffierte Greislerin. In der Tramway dachte er über die Ursachen dieses Emotionsausbruchs nach. Die einleuchtendste Erklärung war, dass die Greislerin nicht
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