Die Naschmarkt-Morde
des Hinterhofs war genau das, was er für sein Vorhaben benötigte. Als sich Mizzi langsam dem dunklen Durchgang zwischen den Höfen näherte, begann das Blut in seinen Schläfen zu pochen. Wie in Trance sah er die zarte Gestalt auf sich zukommen, seine schweißnassen Hände verkrallten sich in dem Seidentuch, das er vor seiner Brust hielt. Er spannte das Tuch und drückte sich in eine Mauernische. Doch als das Mädel den Durchgang betrat, sah er plötzlich das erbitterte Ringen mit der Frau, die er am Naschmarkt erwürgt hatte, vor seinem geistigen Auge. Diese Erinnerung bewog ihn, die Taktik zu ändern. Schnell ließ er das Tuch in der Tasche seines Sakkos verschwinden und trat aus dem Mauervorsprung hervor. Mizzi erschrak, dann blitzte aber ein Wiedererkennen in ihren Augen auf.
»Gott zum Gruße, mein Kind!«, sagte der Mann freundlich. »Was treibt dich in diesen menschenverlassenen Hinterhof? Wolltest du am Ende den Gotthelf besuchen?«
»Grüß Gott, gnädiger Herr. Ja, zum Gotthelf Stani wollt ich, gnädiger Herr …«, stotterte Mizzi.
»Siehst du, das hab ich auch vorgehabt. Komm, schauen wir noch einmal nach, ob er nicht doch da ist.«
Damit nahm er sie mit der Linken bei der Schulter, drehte sie um und stupste sie vor sich her. Mit der Rechten zog er das Seidentuch aus der Tasche. Die linke Hand schob sein Opfer, das sich widerstandslos bugsieren ließ, etwas nach rechts. Zart strich er mit der Hand zu ihrem Hals hinauf. Hier befand sich plötzlich auch die rechte Hand mit dem Seidentuch. Beide Hände vereinigten sich blitzschnell vor Mizzis Hals. Das Tuch wurde gestrafft. Hinter Mizzis Genick verknotet. Und zusammengezogen. Mizzis Körper bäumte sich jäh auf.
Der recht große und kräftige Mann zog den Mädchenkörper am Seidentuch in die Höhe. Mizzis Beine strampelten in der Luft. Hilflos rudernde Arme. Gurgelnde Geräusche. Dann ein kurzer, scharfer Knacks. Mizzis Kopf knickte zur Seite. Wie von Sinnen schüttelte er den am Seidentuch baumelnden Körper. Als ein scharfer Uringeruch aufstieg, ließ der Mann die Tote auf den Boden plumpsen.
Kurz betrachtete er sein Werk. Dann beugte er sich zu der Toten hinunter und schnürte ohne Hast das Seidentuch auf. Er zog es unter dem Leichnam hervor, schüttelte es kurz aus und steckte es zurück in seine Tasche. Danach klopfte er einige Staubkörner von den Ärmeln seines Sakkos, überprüfte den Sitz seiner Krawatte, zog den Strohhut etwas tiefer ins Gesicht und verließ gemessenen Schrittes den Ort der Tat.
3. Teil
Amtsblatt der k. k. Polizei-Direction in Wien:
Statthalterei-Erlass vom 28.Juli 1903, Z. 73.867 Auszug (Pol.-Diens.-Z. 71.881/I)
Der Vertrieb der von J. F. Schnek in Berlin-Charlottenburg erzeugten und von Rudolf Blau in Wien in Verkehr gesetzten Massageluftpumpe zur Behandlung der Impotenz ist verboten.
I/3.
Er lag an Henriette Orliczeks weißem Busen und schlief. Sie strich durch sein wirres Haar, worauf er – ohne aufzuwachen – etwas murmelte und den Kopf in eine andere Position legte. Die Frau rückte behutsam die Massen ihres Busens zurecht, sodass sie das Gewicht seines Kopfes nicht drückte; danach fiel sie in einen Dämmerschlaf.
Henriettes Glück hatte vor über einer Woche begonnen. Damals, als der, nach Hermine Hanisch-Hinterbergs plötzlichem Ableben, völlig verstörte Gotthelf besoffen durch die Gegend wankte. Er verkaufte kaum mehr Horoskope am Naschmarkt, sondern irrte tagelang wie von tausend Teufeln getrieben über den Markt und durch die Gassen und Straßen der Stadt. Irgendwann befand er sich schließlich vor dem Café Sperl, wo er in seiner Verwirrung mit einer Passantin zusammenstieß. Da erwachte er aus seinem Delirium. Eine wohlriechende weibliche Person sah ihn empört an. Er besann sich seines Charmes und seiner Manieren, entschuldigte sich in aller Form und fragte, ob er sie als kleine Wiedergutmachung zu einem Kaffee und einem Stück Mehlspeise einladen dürfe. Da schmolz die Empörung der Henriette Orliczek wie Schnee in der Frühlingssonne. Der junge Mann war zwar kein besonders fescher Kerl, dafür aber interessant und außerdem nur halb so alt wie sie. Er sah etwas mitgenommen aus, seine Kleidung machte aber einen gepflegten Eindruck. Ungewöhnlich war, dass er einen weißen Papagei auf der Schulter trug. Trotzdem nahm die Orliczek die Einladung an. Im Café Sperl bestellte sie statt eines Kaffees einen weißen G’spritzten sowie zwei Eier im Glas.
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