Die Naschmarkt-Morde
um möglicherweise eine Mitwisserin auszuschalten. Es konnte also davon ausgegangen werden, dass mit der Verhaftung des verdächtigen Individuums die Naschmarktmorde endlich aufgeklärt werden würden. Um dies möglichst rasch zu gewährleisten, erhielt Nechyba vom Zentralinspector die ausdrückliche Erlaubnis, alle 14 Polizeiagenten seiner Gruppe für die Suche nach Gotthelf einsetzen zu dürfen.
»Ich bitte Sie nur eines, Nechyba«, ermahnte ihn sein Vorgesetzter, »Diskretion, äußerste Diskretion. Die Sache ist nämlich sehr heikel. Jetzt, wo erwiesen ist, dass die Hainisch-Hinterberg eine Liaison mit diesem Gottschlurf … diesem Gottseibeiuns … gehabt hat. Wussten Sie, dass Gottburga von Schönthal-Schrattenbach eine Cousine ersten Grades des Fürsten Montenuovo ist?
Also: Dass mir nix von dieser grauslichen Mesalliance in die Zeitung kommt. Haben Sie mich verstanden, Nechyba? Dafür sind Sie mir persönlich verantwortlich. Und noch etwas: Den Pospischil habe ich wegen seiner Indiskretion der Presse gegenüber mit einer Verwarnung abgestraft. Außerdem hab ich ihm bis auf Weiteres alle Dienstzulagen und Remunerationen gestrichen. Vielleicht wäre es bei dieser delikaten Angelegenheit überhaupt ratsam, dass der Kerl an den ganzen Ermittlungen überhaupt nicht teilnimmt. Lassen Sie ihn doch einfach den Innen- und Journaldienst machen, Nechyba. Die anderen 13 Mann Ihrer Gruppe werden doch – zum Kuckuck noch einmal! – den Gottdings … Gottlob … oder wie er heißt … finden! Und noch was: Gehen Sie mit den uns vorliegenden Beweisen zum Untersuchungsrichter, damit der vom Pospischil verhaftete Fleischhauergeselle freikommt. In dieser Sache haben Sie übrigens von Anfang an den richtigen Riecher gehabt. Kompliment, Nechyba!«
Die Erinnerung an dieses Lob sowie die Tatsache, dass er die Enthaftung des Anastasius Schöberl zustande gebracht hatte, hellten sein Gemüt auf. Es bestätigte sich nun das, was er von Anfang an gesagt hatte: Das durch Prügel erzwungene Geständnis war nicht das Papier wert, auf dem es niedergeschrieben worden war. Schöberl musste sich zwar bis auf Weiteres einmal die Woche am zuständigen Polizeikommissariat melden, war aber sonst wieder ein freier Mann.
Was Nechyba aber wirklich quälte und ihm Rätsel aufgab, war das Verschwinden Gotthelfs. Kruzitürken noch einmal! Ein Mensch konnte sich doch nicht von einem Tag auf den anderen Tag in Luft auflösen. Und schon gar nicht in Wien, wo jeder jeden kennt und wo das Belauern und Bespitzeln von Nachbarn, Freunden, Bekannten und Verwandten eine allgemein beliebte und eifrig betriebene Beschäftigung war. Im Geiste ging er nochmals all die Weiber durch, von denen er wusste, dass sie mit Gotthelf ein intimes Verhältnis hatten. Circa zwei Dutzend waren es, deren Namen und Adressen seine Polizeiagenten in den letzten Tagen ausgeforscht hatten. Jede einzelne war peinlich genau über ihr Verhältnis mit dem Planetenverkäufer befragt worden. Zusätzlich hatten seine Männer die Wohnungen all dieser Frauen durchsucht. Der enorme Arbeitsaufwand zeitigte allerdings keinerlei Ergebnis – außer dass es zu etlichen Ehezerwürfnissen sowie in zwei Fällen zu gerichtlichen Untersuchungen wegen Ehebruchs kam … Eine der betroffenen Frauen war die Greislerin Lotte Landerl. In diesem Fall untersagte der Inspector seinen Leuten jegliche Vernehmung; die Greislerin nahm er sich selber vor. Er fasste die sich in Grund und Boden schämende Frau mit Glacéhandschuhen an und wickelte die Durchsuchung von Wohnung und Greislerei äußerst diskret ab. Dieses diskrete Vorgehen hatte angenehme Folgen: Die Landerl verwöhnte ihn ab diesem Zeitpunkt, wann immer er ihre Greislerei betrat, nach Strich und Faden. Einerseits genoss er es, anderseits war es ihm peinlich, da es ihm fast wie Bestechung vorkam.
Er zündete sich eine Virginier an und orderte beim Ober einen doppelten Mokka gespritzt. Als er das heiße Gebräu aus Kaffee und Cognac mit Genuss schlürfte, musste er plötzlich an die kräftige, ihm mittlerweile schon vertraute Gestalt der Aurelia Litzelsberger und an die Gemütlichkeit der Schmerda’schen Küche denken. Dorthin zog es ihn. Aber was für einen Grund hatte er – außer seiner Sehnsucht nach der geliebten Frau –, in der Wohnung des Hofrats vorstellig zu werden? Es fiel ihm nichts ein. Und da es sich nicht schickte, in das Paradies der Schmerda’schen Küche grundlos vorzudringen, blieb er im Sperl sitzen und begann, von
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