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Die Naschmarkt-Morde

Titel: Die Naschmarkt-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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jage, oder eine tödliche Duellkugel, durch die mich unser hochverehrter Freund Adalbert Graf Sternberg von der Schande der Zahlungsunfähigkeit erlösen wird. Eine halbe Million Kronen, Mama. Spielschulden, alles Spielschulden … Sternberg war so nett und hat alle meine Verbindlichkeiten übernommen. Da Sternberg gerade selbst eine Pechsträhne hat, drängt er mich, meine Schulden zu begleichen. Und wie wir wissen, Mama, sind Spielschulden Ehrenschulden. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als durch eigene Hand aus dem Leben zu scheiden oder mich mit dem Grafen zu duellieren. Übrigens, Sternberg weilt nur deshalb noch unter uns Lebenden, weil er bisher kein einziges Duell verloren hat …«

X/3.
    In seinem Büro in der Polizei-Direction am Schottenring wartete eine Fülle von Arbeit. Es war die Wochenbesprechung mit den k. k. Polizeiagenten seiner Gruppe abzuhalten – er hatte sie bereits einmal verschoben –, und er musste Pospischil auf die Finger schauen. Seitdem dieser ausschließlich Innendienst versah, wanderten alle Akten über seinen Schreibtisch. Zu Nechybas Pflichten gehörte es, sie regelmäßig durchzusehen, zu kontrollieren und die immer wieder vorkommenden Blödheiten Pospischils zu korrigieren. All das war dem Inspector im Moment sehr zuwider. Er empfand nahezu Ekel vor seiner Arbeit. Deshalb befand er sich auch nicht im Büro, sondern im Café Sperl.
     
    Seine Hände ruhten auf dem Marmor des Kaffeehaustischchens, und sein Blick stierte durch das von wandernden Regentropfen überzogene Fenster auf die nasse Gumpendorferstraße hinaus. Er sah, wie ein Dienstmädchen, das eine riesige, mit Lebensmitteln vollgestopfte Tasche schleppte, in eine Regenlacke tappte. Er beobachtete, wie ein Herr mit Dackel und Schirm aus dem Hauseingang gegenüber trat und wie eine spindeldürre Gestalt ohne Schirm durch den Regen hastete. Es sah aus, als ob der dünne Kerl versuchen wollte, die trockenen Räume zwischen den einzelnen Regentropfen zu nutzen. Die Gestalt kam näher, Nechyba schmunzelte und dachte: Wenn der Goldblatt – so dünn, wie er ist – nicht aufpasst, rutscht er glatt durchs nächste Kanalgitter …
     
    Als der Redakteur das Sperl betrat, nahm er noch vor dem Hut die Brille ab. Denn Goldblatts Augengläser waren nicht nur nass, sondern beschlugen sich auch blitzartig in der Wärme des Kaffeehauses. Ja, es gab einen Kälteeinbruch in diesen Septembertagen, und Goldblatt, der weder Mantel noch Schirm bei sich hatte, fröstelte.
    »Einen Tee mit doppeltem Rum für den Herrn Redakteur! Damit er sich keine Verkühlung holt …!«, rief Nechyba dem Ober zu.
    Goldblatt – kurzsichtig wie eine Blindschleiche – setzte die geputzte Brille auf und ging zum Tisch des Inspectors.
    »Man könnte fast glauben, dass Sie meine Frau Mama sind, Nechyba. So sehr bemuttern Sie mich … Wollen Sie am Ende gar was von mir? Oder sind Sie ausnahmsweise einmal gut aufgelegt? Obwohl das ganz schön meschugge wäre, bei diesem hundsmiserablen Wetter.«
    »Was sind Sie nur für ein Mensch, Goldblatt? Da kommen Sie wie ein begossener Pudel ins Café herein. Sie tun einem leid, und man möchte Ihnen was Gutes tun. Und das Einzige, was Ihnen darauf einfallt, ist ein Zynismus. Warum sind S’ denn immer so misstrauisch?«
    »Gehen S’! Hören S’ auf! Ich kenn Sie jetzt schon 15 Jahre, und noch nie haben Sie mir auch nur einen kleinen Mokka spendiert. Da frag ich mich natürlich, warum Sie ausgerechnet heute die Spendierhosen anhaben …«
    »Sie kombinieren scharfsinnig wie ein alter Kriminalist«, schmunzelte Nechyba. Gönnerhaft beobachtete er, wie sich Goldblatt das Stamperl Rum in die Teeschale goss und dann das heiße Getränk mit kleinen Schlucken schlürfte. Währenddessen bildeten sich auf der Bank links und rechts neben ihm nasse Flecken.
    »Goldblatt, ich brauche tatsächlich etwas von Ihnen.«
    »Sie von mir? Gott möge abhüten!«
    »Einen Rat! Nur einen Rat, Goldblatt. Ich bin nämlich mit meinem Latein am Ende. Ich habe einen riesengroßen Fehler gemacht und weiß nicht, wie ich den in Ordnung bringen soll …«
»Na, na … so schlimm wird es ja wohl auch nicht sein …«
    »Finden Sie es nicht schlimm, wenn ein Unschuldiger zum Tode verurteilt wird?«
    Goldblatt hielt beim Teeschlürfen inne. Behutsam stellte er die Teeschale auf die Untertasse zurück, räusperte sich, kramte aus dem Sakko das uralte, nunmehr etwas feuchte Päckchen Zigaretten hervor. Er zündete sich eine an und starrte auf sein

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