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Die Naschmarkt-Morde

Titel: Die Naschmarkt-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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hier ist mir die Frau Hugo über den Weg gelaufen, und ich bin ihr gefolgt. Sie hat an dem Tag ein ganz besonders schönes, weißes Sommerkleid angehabt. Ziemlich bald ist dann der Planeten-Stani, der einen stockbesoffenen Eindruck gemacht hat, in die Frau Hugo gerannt. Er hat sich höflich entschuldigt, und beide sind gemeinsam ins Café Sperl gegangen. Da sind sie in einer Fensterloge gesessen und haben sich unterhalten. Nach circa zwei Stunden haben sie das Sperl verlassen und sind zu der Frau Hugo in die Wohnung gegangen. Ich hab vor der Haustür beiläufig eine weitere Stunde gewartet, aber der Planeten-Stani ist nicht wieder herausgekommen. Mir ist fad geworden, und ich bin noch in den ersten Bezirk gegangen. Am Abend war ich pünktlich zum Abendessen zu Hause. Da sind alle schon ganz aufgeregt gewesen, weil die Mizzi von einer Besorgung nicht zurückgekommen ist …«
    Nechyba zwirbelte versonnen die linke Spitze seines Schnauzbartes.
    »Kannst du dich erinnern, wann der Planeten-Stani in die Frau Hugo hineingerannt ist? War das zehn Minuten, nachdem du die Mizzi um die Ecke verschwinden gesehen hast, oder vielleicht 20 Minuten später?«
    »Das werden zehn Minuten gewesen sein. Weil, von unserer Wohnung hab ich fünf Minuten runter zum Naschmarkt und dort hab ich gleich die Frau Hugo gesehen, der ich Richtung Sperl gefolgt bin, wo der Planeten-Stani in sie hineingerannt ist. Ich hab mich eh schon die ganze Zeit gewundert, dass Sie den als Mizzis Mörder verhaftet haben. Der hat das sicher nicht gemacht. Weil, der kann nicht gleichzeitig im Café Sperl und bei sich daheim gewesen sein … Aber ich hab mir gedacht, ich sage lieber nix, damit Sie nicht bös werden und mich noch einmal verprügeln …«

IX/3.
    Er stand nach einem Nachmittagsschläfchen vor dem mannshohen, mit üppigen Schnitzereien versehenen Spiegel in seinem Zimmer. Das Haar hing ihm wirr ins Gesicht, seine Haltung war gebeugt, die Schultern krümmten sich zu einem Buckel. Er betrachtete die körperliche Hülle seiner Existenz: Schüttere Haare, ein blasser Teint, rot entzündete Pickel. Der einst muskulöse Oberkörper war schlaff und teigig, der Bauch aufgebläht, darunter ein in sich zurückgezogenes Geschlecht, schlaffe Oberschenkel, spitz hervortretende Knie, krumme Beine und rötlich gefärbte Füße mit Zehen, deren Form er noch nie leiden konnte.
    »Ich hab Füße wie ein Bauer … Kein Wunder, seitdem ich praktisch bankrott bin, kann ich mir keinen Fiaker mehr leisten. Alles muss ich zu Fuß gehen … Was für ein Leben!«
    Alle seine Hoffnungen waren dahin. Seine Pläne, zumindest an einen Teil des Vermögens seiner toten Cousine zu gelangen, hatten sich in Luft aufgelöst. Oh, wie er sie verabscheute, diese Weiber! Und am hassenswertesten erschien ihm seine Mutter. Eine Rabenmutter! Sie hatte heute beim Notar – als ihr das riesige Vermögen der Nichte mit Brief und Siegel zugesprochen worden war – seine zuerst leisen und dann immer hysterischeren Forderungen, ihm einen Teil des Erbes zu überschreiben, abgeschmettert. Kühl und bestimmt vertrat sie den Standpunkt, dass das nun ihr Vermögen sei und dass sie ihr Vermögen nicht zu teilen gedenke. Sie werde es so wie bisher halten, dass er von ihr alles, was er zu einem standesgemäßen Leben benötige, bekomme. Sie werde ihm eine Apanage zahlen und für seine Amouren, sein Reitpferd im Prater und – Gott sei’s geklagt – auch für seine Spielschulden aufkommen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger gedenke sie zu tun. Damit war nun klar: Der einzige Ausweg, der ihm blieb, waren seine Pistole und deren kalt glänzende Munition. Nachdenklich rollte er eine Patrone zwischen Daumen und Zeigefinger. Angenehm kühl war sie und strahlte Sachlichkeit, Bestimmtheit sowie Ruhe aus. Er führt die Patrone an seine Schläfe, bohrte die Patronenspitze in die Schläfenhaut und brüllte in den Spiegel: »Bumm!«
    Danach ließ er die Hand resignierend sinken, Daumen und Zeigefinger gaben die Patrone frei. Sie fiel auf den Parkettboden und rollte unter den Kleiderschrank. Tod … Wie fühlte sich der Tod an? Kühl und sachlich wie die Patrone, die er gerade noch in der Hand gehalten hatte? Oder heiß und leidenschaftlich? Wie eine stürmische Affäre? Wie ein Rausch der Sinne? Wie das Tanzen eines Walzers? Immer im Kreis, immer schneller, bis einem schwarz vor Augen würde? Den Kopf leicht benebelt von Champagner, die Beine beflügelt vom Dreivierteltakt, die Sinne entflammt von der ständig

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