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Die Naschmarkt-Morde

Titel: Die Naschmarkt-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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drehenden Bewegung, der Geschwindigkeit der Musik und der körperlichen Nähe einer Fremden, die sich ihm und dem Rhythmus der Musik auslieferte … Würde ihn die Tod beglücken? Die elegante, blasse Schwester des düsteren Sensenmannes … Würde er sich im spöttischen Glanz ihrer dunklen Augen aalen, seine Wange an die hohen Backenknochen ihres Schädels schmiegen und von ihrem lippenlosen Mund den eiskalten Hauch eines Todeskusses empfangen? Würde er die Tödin souverän in seine Arme nehmen und sie in einem letzten Aufbäumen im Walzerschritt durch die dicht gedrängte Menge all derer führen, die in diesem Augenblick ebenfalls die Klänge des finalen Walzers vernahmen?
     
    Ein Pochen an der Zimmertür riss ihn aus seinen Visionen. Die Tür wurde vorsichtig geöffnet, und es ertönte ein spitzer Schrei. Reserl, das Dienstmädchen, starrte den nackten Baron mit offenem Mund an. Der kam allmählich wieder zu Sinnen und bemerkte ironisch: »Na, Reserl, jetzt hast du endlich einmal einen Mann en nature gesehen.«
    »Die … die … die Frau Baronin lässt fragen, ob … ob der gnädige Herr vielleicht mit ihr den 5-Uhr-Tee im Salon nehmen möchte?«
    »Sag meiner Frau Mama, dass ich fürchterlich Migräne habe und dass ich ihre Gegenwart in diesem Zustand noch weniger als sonst ertrage. Bring mir stattdessen eine Schale Tee aufs Zimmer.«
    Das Dienstmädchen knickste und schloss die Tür, während Schönthal-Schrattenbach zu seinem Bett zurückschlich.
     
    Es klopfte neuerlich. Diesmal trat nicht das Dienstmädchen, sondern die Baronin ein. Sie hatte eine Schale samt Untertasse in der Hand und war bei jedem Schritt darauf bedacht, dass der Tee nicht überschwappte. Endlich erreichte sie das Bett und ließ sich auf der Bettkante nieder. Wortlos reichte sie ihrem Sohn die Schale. Sie hüstelte leise und versuchte, ihrem Sohn mit der Hand über das Haar zu fahren. Dieser entzog sich der mütterlichen Geste und verzerrte sein Gesicht zu einer Fratze des Unwillens. Die Baronin seufzte: »Aloysius, was ist los mit dir? Bist du noch immer verstimmt? Du hast dich doch eh schon abreagiert … Das Theater, das du beim Notar aufgeführt hast, war äußerst blamabel. Dass du dir so einen Auftritt vor fremden Leuten leistest … Ich verstehe dich nicht, Bub. Statt dass du froh bist, dass ich die Alleinerbin deiner Cousine bin, führst du dich auf wie ein Verrückter …
    Schau, mit dieser Erbschaft können wir endlich wieder ein standesgemäßes Leben führen. Gehen wir morgen zum Schneider und lassen wir dir zwei neue Anzüge anmessen. Ich selbst hab auch schon nachgedacht, in welchem Modesalon ich mir meine Wintergarderobe schneidern lassen werde. Komm, lach doch ein bisserl …«
     
    Aloysius Schönthal-Schrattenbach schlürfte seinen Tee und dachte an das ungeheure Vermögen der Cousine: riesige Ländereien mit landwirtschaftlichen Betrieben in Mähren, die per annum ein hübsches Sümmchen Geld erwirtschafteten, ein Actienpaket an der Börse, eine Beteiligung an böhmischen Industriebetrieben sowie ziemlich viel Bargeld in einem Bankdepot. Die Immobilien und Actien könnte man leicht zu Geld machen. Geld, das er dringend benötigte und das ihn den Armen der Tödin entreißen würde …
    »Aloysius, warum starrst du so trübsinnig vor dich hin? Bedrückt dich was? Komm, erzähl!«
    Schönthal-Schrattenbach bekam bei diesem warmen, mitleidigen Ton eine Gänsehaut vor Hass und Ekel. Die Schale zitterte in seiner Hand, und er war einen Augenblick lang versucht, sie seiner Mutter an den Kopf zu werfen. Doch er beherrschte sich und antwortete mit einem zynischen Lächeln: »Liebend gerne werde ich morgen mit Ihnen zum Schneider gehen. Allerdings werde ich mir nur einen einzigen Anzug anmessen lassen. Einen schwarzen. Weiters bitte ich Sie, mir eine schwarze Samtkrawatte zu kaufen und mir beim Schuhmacher schwarze Stiefeletten anfertigen zu lassen … Weil, ich stelle mir das hübsch vor, mit schwarzem Anzug, schwarzer Krawatte und schwarzen Stiefeletten aufgebahrt in einem schneeweißen Sarg zu liegen. Das ist sicher für alle sehr ästhetisch anzuschauen …«
»Kind, was ist dir? Was fehlt dir denn? Soll ich einen Arzt rufen?«
    »Einen Arzt braucht es nicht, Mutter …«
    Er beugte sich vor und flüsterte: »Was mir fehlt, ist Geld. Viel Geld, Mama. Eine halbe Million Kronen. Fehlendes Geld ist die Krankheit, an der ich krepieren werde. Ich habe zwei Möglichkeiten: entweder eine Kugel, die ich mir selber in den Schädel

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