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Die Naschmarkt-Morde

Titel: Die Naschmarkt-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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heftete er sich an Alphonse’ Fersen. Der hatte keine Augen für etwaige Verfolger und auch nicht für wohlgerundete Äpfel. Die einzigen Rundungen, die ihn interessierten, waren jene von Henriette Orliczek. Sie blieb bei einem Obststand stehen, um Trauben zu kaufen. Von der Fratschlerin wurde sie als Stammkundin begrüßt. Nechyba fing einen Gesprächsfetzen auf, bei dem es um eine Operettenaufführung im Theater an der Wien ging. Da dämmerte ihm, dass es sich bei dieser Person um eine Operettensängerin handelte, die er vor Jahren schon einmal auf der Bühne gesehen hatte. Vor circa zehn Jahren war sie sehr bekannt und beliebt gewesen. Henri, … Hans … oder so ähnlich, war ihr Name. Als ihm das durch den Kopf ging, fielen der Sängerin beim Gustieren und der Tratscherei mit der Fratschlerin einige Trauben aus der Hand. Wie ein geölter Blitz schoss Alphonse Schmerda auf das am Boden liegende Obst zu, sammelte es ein und überreichte es mit einer artigen Verbeugung der überraschten Dame. Sie bedeutete ihm, dass er die Trauben der Fratschlerin zurückgeben sollte. Die Orliczek fasste den Knaben beim Kinn, sodass er ihr in die Augen schauen musste und sagte: »Danke, mein Lieber. Du bist ja ein ganz ein Flinker … Wie heißt du denn?«
    Alphonse wurde knallrot und stammelte seinen Namen.
    »So, so … Alphonse. Ein hübscher Name, der passt gut zu dir. Weißt du, wie ich heiße?«
    »Sie … Sie … gnädige Frau … sind die berühmte Theaterkünstlerin Henriette Hugo.«
    »Bravo, mein Kleiner … Weißt du was, ich hab am Nachmittag Probe im Theater an der Wien. Wenn du willst, dann kommst du so um 4 Uhr zum Portier und sagst ihm, dass du zu mir willst. Ich werde ihm Bescheid geben, dass er dich hereinlässt. Dann kannst du mir beim Proben zuschauen.«
    Alphonse hatte sich – nachdem die Orliczek sein Kinn losgelassen hatte – wieder gefasst, verbeugte sich, deutete einen formvollendeten Handkuss an und verschwand in der Menschenmenge. Nechyba schnappte folgende Bemerkung auf, die die Orliczek beim Bezahlen des Obstes machte: »Ein hübscher Bengel. Und so aufgeweckt …«
     
    Der hübsche Bengel schlenderte langsam zur elterlichen Wohnung zurück. Ein träumerischer Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Als Nechybas eiserne Faust ihn beim Schlafittchen packte, wurde er jäh aus seinen Träumen gerissen. Er erkannte den hünenhaften Polizisten mit dem furchterregenden Schnauzbart wieder, und sein Gesicht verformte sich zu einer ängstlichen Grimasse.
    »Ich hab heut nix g’stohlen …«, greinte er.
    Nechyba grinste diabolisch und manövrierte das zappelnde Stück Mensch in eine dunkle Nische hinter einen Marktstand.
    »Du hast genug Dreck am Stecken. Rotzbub, du. Spielst den Kavalier bei Frauen, die vom Alter her deine Mutter sein könnten … Allein dafür hast du dir ein paar Ohrfeigen verdient. Aber ich will Gnade vor Recht ergehen lassen. Was mich interessiert, ist Folgendes: Wie lange schleichst du schon der Henri, Hans, Hugo, oder wie immer sie heißt … hinterher? Das war doch nicht das erste Mal heute?«
    Das Eck, in das Nechyba Alphonse gedrängt hatte, war dunkel und menschenleer. Der Bub zitterte wie Espenlaub. Stammelnd erzählte er, dass ihm vor etwa einem halben Jahr bei einem seiner Naschmarkt-Streifzüge die Henriette Hugo aufgefallen sei. Danach habe er sich für die Künstlerin zu interessieren begonnen und schließlich herausgefunden, dass sie ganz in der Nähe, nämlich in der Gumpendorferstraße, wohne. Daraufhin habe er viel freie Zeit damit verbracht, vor ihrem Hauseingang herumzulungern und ihr nachzuspionieren.
    »So, so …«, brummte Nechyba und ließ den Knaben los. Dieser drückte sich ängstlich in das dunkle Eck. In einem beruhigend väterlichen Ton erkundigte sich Nechyba nun, ob sich Alphonse an den Tag Anfang Juli erinnern könne, an dem das Dienstmädchen des elterlichen Haushalts einem Verbrechen zum Opfer gefallen war. Alphonse massierte sich das malträtierte Genick und starrte in die Ferne. Dann begann er klar und präzise zu erzählen: »Es war ein fürchterlich heißer Nachmittag. Die Frau Aurelia hat die Mizzi hinunter auf die Gasse geschickt, um etwas zu besorgen. Ich bin gleich nach der Mizzi runtergegangen und habe sie noch um die nächste Ecke verschwinden gesehen. Es war niemand auf der Straße außer einem Mann, der hinter der Mizzi hergegangen ist. Ich hab mir nix dabei gedacht und bin zum Naschmarkt spaziert … Ich wollte mich ein bisserl umschauen …

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