Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nebelkinder

Die Nebelkinder

Titel: Die Nebelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
Vom Netzwerk:
sich die Verwandtschaft mit der Verschleppten erst vergegenwärtigen. Die Finger seiner rechten Hand lösten sich langsam von dem Pokal und das Gefäß fiel zu Boden. Der rote Inhalt tränkte den hellen Teppich aus Schafwolle. Reglos saß der Edelmann da, als habe der Wein ihn mit Schlaf benebelt. Aber als er die Augen wieder öffnete, wirkte sein Blick fest, nicht unstet und verschleiert wie der eines Berauschten. »Gerswind ist meine Tochter, doch das ändert nichts. Die Suche ist für meine Männer anstrengend und sie führt zu nichts. Wenn ich nach Regensburg zurückkehre, werde ich zwei Tote beklagen. Mein Herz wird um Gerswind weinen, mein Verstand aber wird sich wegen Chlodomer sorgen.«
    »Bist du bei der Suche nach dem Mörder kein Stück vorangekommen, Herr?«
    »Gibt es denn einen Mörder?«, entgegnete der Gesandte zu Albins Überraschung. »Vielleicht war es ein Unglück, ist Chlodomer von ganz allein dem Wahnsinn verfallen.«
    »Das kannst du nicht ernst meinen!«, entfuhr es Albin. »Du hast doch auch den Pfeil gesehen, den Elbenstrahl, den Graman bei Chlodomers Leiche gefunden hat!«
    »Dann war der Mörder ein Elb. Und? Soll ich die Berge abtragen und den See entwässern auf der Suche nach diesen seltsamen Wesen? Wir können nur hoffen, dass König Odo uns keine zu große Schuld zuweist. Ich weiß nicht, was ich hier noch tun soll. In wenigen Tagen, sobald unsere Pferde sich von der anstrengenden Suche erholt haben, reisen wir ab.«
    Albin wollte seinen Ohren nicht trauen. Graf Guntram schien wie verwandelt. Nichts erinnerte an den zupackenden, durch nichts zu erschütternden Mann, der er noch vor wenigen Tagen gewesen war. Als hätte ihn ein Elbenzauber, ein von den Nebelkindern gesandter Fluch, um den Verstand gebracht. Auf der Suche nach der Erklärung für sein seltsames Verhalten kamen Albin Gramans Worte in den Sinn: »Gerswind ist die beste Waffe gegen Graf Guntram. Fragt sich nur, wie die Nebelkinder sie einsetzen wollen.« Auf einmal wusste Albin, wie die Rotelben ihre Waffe eingesetzt hatten.
    »Du hast Nachricht bekommen, nicht wahr, Herr?«, fragte er mit einer Stimme, die sich vor Aufregung überschlug. »Du weißt, dass Gerswind noch lebt! So ist es doch? Sag es mir bitte, Herr! Nur für sie tust du das alles, damit die Nebelkinder sie am Leben lassen und...«
    Ein harter Fausthieb gegen den Kopf streckte Albin zu Boden. Er schlug mit dem Gesicht auf und ein stechender Schmerz durchzuckte seine Nase. Die vom Schlag des Rotelben herrührenden Kopfschmerzen, die in den letzten Tagen allmählich nachgelassen hatten, kehrten blitzartig zurück. Guntram war aufgesprungen wie ein von der Sehne gelassener Pfeil. Albin hatte den Hieb kaum kommen sehen und war nicht in der Lage gewesen, ihm auszuweichen. Jetzt stand Guntram breitbeinig über ihm, die Hände zu Fäusten geballt, und seine Augen funkelten zornig.
    »Du redest zu viel, Narr! Und du steckst deine Nase in Dinge, die dich nichts angehen. Auf der Fischerinsel hättest du dich um Gerswind kümmern sollen. Aber da hast du zugesehen, wie sie geraubt wurde.
    Jetzt liegt ihr Schicksal nicht mehr in deinen Händen.«
    Am Boden kniend, hob Albin den Kopf und blickte zu Guntram auf. Seine Nase war verstopft, er musste durch den Mund atmen. Ein herbsüßlicher Geschmack machte sich darin breit: Blut, das aus seiner Nase rann.
    »Aber ich will doch nur wissen, wie es Gerswind geht«, sagte er und verzog das Gesicht, weil der Schmerz in seinem Kopf wütete wie eine ganze Horde wilder Nordmänner.
    »Du bist wirklich ein Narr, begreifst gar nichts!«, stieß Guntram hervor, wütend und zugleich enttäuscht. »Deine Rede ist gefährlicher als ein Elbenstrahl. Ich werde dafür sorgen, dass dein loses Mundwerk nicht noch mehr Gift verspritzt.« Er rief die Wache herein und befahl: »Sperrt den Kerl ein und bewacht ihn gut! Er war bei Gerswind, als sie verschwand, und steht im Verdacht, sie im See ertränkt zu haben.«
    Albin als Gerswinds Mörder - Graf Guntram konnte das nicht wirklich glauben! Zu dieser Erkenntnis gelangte Albin, als er in der Dunkelheit seines Gefängnisses vor sich hin brütete. Sie hatten ihn in einen fensterlosen Verschlag hinter dem Kornspeicher gesperrt und ein Bewaffneter hielt davor Wache. Der Gefangene hockte auf dem nackten Boden und hatte den Hinterkopf gegen die dicke Bretterwand gelehnt. Je weniger er den Kopf bewegte, desto schwächer war der Schmerz und desto klarer wurden seine Gedanken. Und je länger er

Weitere Kostenlose Bücher