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Die Nebelkinder

Die Nebelkinder

Titel: Die Nebelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Nonus«, sagte Albin, während er herzhaft ein Stück der Pastete zerkaute. »Du wagst viel für mich und schaffst dir sicher mehr Feinde als Freunde.«
    Gramans Blick verdüsterte sich. »Die Gefahr, in der du schwebst, ist um ein Vielfaches größer, mein Sohn. Was ich für dich tue, ist eines Christenmenschen Pflicht. Liebe deinen Nächsten, sagt der Herr, und du bedeutest mir mehr als mein Nächster. Doch Dank schuldest du mir nicht, im Gegenteil, ich zögerte zu lange und fasste erst Mut, als der heidnische Nordmann für dich eintrat.«
    Albin bemerkte Gramans große Scham und suchte nach tröstenden Worten. Schließlich sagte er: »Es ist keine Schande, Nonus, vor Wenrichs überschäumendem Zorn zurückzuweichen.«
    Der Mönch stieß einen schweren Seufzer aus. »Ich habe gesehen, dass er voller Hass ist, aber warum?«
    Albin berichtete ihm von dem Fieber, dem Wenrichs Weib und Kinder zum Opfer gefallen waren.
    »Jetzt verstehe ich seinen tiefen Hass«, meinte Graman. »Billigen kann ich ihn nicht. Aber eins scheint sicher: Was vorhin hier geschehen ist, wird seinen Zorn noch steigern. Ich hege wenig Zweifel, dass Wenrich morgen genügend Zeugen beibringt, um deine Verurteilung wegen heidnischer Zauberei herbeizuführen.«
    »Aber wie? Ich habe nichts Derartiges getan!«
    »Der Vogt hat Geld und Macht. Wer nicht für ein paar Silberpfennige für ihn aussagt, wird es aus Angst vor Strafe tun.«
    Der Soldat steckte seinen behelmten Kopf durch den offenen Türspalt. »Was quasselt ihr miteinander? Wenn der Gefangene mit dem Essen fertig ist, solltest du dich besser um die Wunden des Vogts kümmern, Mönch!«
    »Nur gemach«, entgegnete Graman. »Ich gehe gleich zum Siechenhaus. Vorher lass mich noch die Arme des Gefangenen massieren. Die Stricke sitzen so fest, dass ihm sonst die Glieder absterben.«
    »Meinetwegen, aber mach schnell!«, brummte der Wächter und zog seinen Kopf zurück.
    Während Graman Albins Arme rieb, brachte er seinen Mund ans rechte Ohr des Findlings und flüsterte: »Ich kann deine Fesseln nicht lösen. Möglich, dass der Wächter sie nach meinem Weggang überprüft. Doch du musst aus der Abtei verschwinden, noch heute Nacht. Vielleicht ist dir das hier nützlich.« Der Mönch ließ etwas in Albins Hände gleiten: ein hölzerner Griff, darunter eine beidseitig geschärfte Klinge - ein Dolch! »Versteck ihn gut«, fuhr Graman im Flüsterton fort. »Was auch immer du tun musst, um dich zu befreien, denke dabei an die Gebote des Herrn!«
    Albin nickte, legte den Dolch hinter sich auf den Boden und setzte sich auf die Waffe, um sie vor dem Wächter zu verbergen.
    Graman erhob sich und packte seine Sachen in den Korb. Bevor er den Verschlag verließ, sagte er: »Der Herr sei mit dir! Meine Gebete sind es auf jeden Fall.« Albin wollte ihm einen Dank nachrufen, aber der Mönch war schon in der Dunkelheit verschwunden. Die Fackel hatte er mitgenommen, damit Albin bei seinem Befreiungsversuch nicht gesehen werden konnte.
    Der Wächter kam herein, fluchte über die Finsternis und tastete nach Albins Fesseln.
    »Ah, sie sitzen noch stramm, na fein«, murmelte er.
    »Ich hatte schon befürchtet, der mitleidige Pfaffe hätte die Stricke gelockert.«
    Zufrieden ging er nach draußen, schloss die Tür und schob den Riegel vor.

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    7.
    Wiederum mussten Stunden vergangen sein und schon vor langer Zeit hatte die Glocke zur Mette geläutet, als das schabende Geräusch des Riegels terneut an Albins Ohren drang. Er hatte nicht geschlafen und nicht gedöst, war hellwach. Und das war ihm nicht schwer gefallen. Die Sorge um sein Leben und der brennende Schmerz auf seiner Wange, der von Gramans Salbe nur unzureichend gelindert wurde, hatten seine Lebensgeister frisch gehalten. Die ganze Zeit hatte er auf diesen Augenblick gewartet: der Moment, der über Leben oder Tod entschied!
    Seine Rechte schloss sich fest um den Dolchgriff. Weiterhin hielt er beide Hände hinter seinem Rücken, damit niemand bemerkte, dass er seine Fesseln längst durchgeschnitten hatte. Er kauerte in einer Ecke wie in sein Schicksal ergeben. In Wahrheit aber waren seine Muskeln und Sehnen zum Zerreißen gespannt. Nur wenn er schnell handelte und die Wache überrumpelte, konnte er die Freiheit gewinnen. Schon schwang die Tür auf und eine schemenhafte Gestalt schob sich vor das matte Licht der Gestirne.
    Nachdem er sich von den Fesseln befreit hatte, hatte Albin zunächst versucht, mit Hilfe des Dolches ein Loch zu graben, durch

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