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Die Nebelkinder

Die Nebelkinder

Titel: Die Nebelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Regensburg, Zwerge und Verwachsene, die man zu anderer Zeit höchst misstrauisch beäugt hätte. Damals aber war das Fieber alles, an das die Menschen denken konnten. Ein buckliger Gnom sprach mich auf der Straße an und bot mir einen Heiltrank gegen einen Beutel Silber. In meiner Verzweiflung ließ ich mich auf den Handel ein, eilte nach Hause und flößte den Meinen den Trank ein.«
    Obwohl seine Lippen sich weiter bewegten, brachte Wenrich kein weiteres Wort hervor. Die Erinnerung übermannte ihn, schnürte ihm die Kehle zu. Er taumelte nach hinten, lehnte sich mit dem Rücken gegen eine Wand und rang keuchend um Atem. Dicke Schweißtropfen glitzerten im Fackelschein auf seiner Stirn. Es war, als erlebte er alles noch einmal.
    »Was geschah dann?«, fragte Albin. Er wollte endlich wissen, was Wenrich dazu antrieb, ihn zu töten.
    »Mein Weib, die Kinder ... sie erbrachen sich und wanden sich in fürchterlichen Krämpfen, die ganze Nacht hindurch. Es war grässlich anzusehen und doch konnte ich den Blick nicht abwenden. Das Schlimmste aber war, dass ich nicht helfen konnte. Der eilends herbeigeholte Medicus meinte nur, es seien Todeskrämpfe. Er hatte Ahnliches schon mehrmals in dieser Nacht gesehen, immer bei Kranken, die den Heiltrunk der Gaukler eingenommen hatten. Was soll ich noch sagen? Am Morgen waren sie alle tot, meine geliebte Agnes und die Kinder. Alle!«
    »Vielleicht lag es gar nicht an dem Trank«, meinte Albin.
    »Das haben die Gaukler auch gesagt, als ich ihr Lager mit meinen Soldaten umstellte. Das vom Fieber verdorbene Wasser sei schuld am vielfachen Tod, wollten sie mir einreden. Aber ich habe ihnen nicht geglaubt. In dem Feuer, das ich an ihre Zelte und Wagen legen ließ, verbrannten alle diese elenden Geschöpfe.«
    »Und noch heute tötest du andere, um durch ihren Schmerz deinen eigenen zu betäuben«, erkannte Albin. »Nicht ich bin vom Bösen besessen, Vogt, sondern du!«
    »Du spottest über mich, Zwerg?« Wenrichs Augen glühten fast stärker als das Fackellicht. Er stieß sich von der Wand ab und trat auf Albin zu. »Ich werde dir den Spott austreiben. Du wirst die Nacht in Qualen verbringen, wirst leiden, wie die Meinen gelitten haben!«
    Er führte die Fackel so nah an Albins Gesicht endang, dass die Flamme nach der Haut leckte. Unerträgliche Hitze umhüllte den Findling. Erst als ihm vom strengen Geruch versengten Fleisches fast schlecht wurde, erkannte er, dass es sein eigenes Fleisch war.
    Wenrich starrte ihn zufrieden an. »Das war erst der Anfang, Teufelsbalg. Kein Glied von dir soll noch heil sein, wenn der Hahn kräht!«
    Wieder schwang der Vogt die Fackel und Albin las in der verzerrten Fratze seines Gegenübers den Wunsch, ihm Qualen zu bereiten. Für Wenrich schien es keinen anderen Weg zu geben, sein eigenes Leid wenigstens für Augenblicke zu vergessen. Albin wusste, dass es schmerzhaft werden würde. Aber so schmerzhaft, das hatte er sich nicht vorgestellt!
    Ihm war, als würde seine linke Wange von der Flamme aufgefressen. Ein Feuerdämon mit tausend spitzen Zähnen hatte sich in seinem Gesicht festgebissen und wollte nicht eher loslassen, bis er sich zur anderen Seite durchgefressen hatte. Albin sehnte ein Ende der Tortur herbei, eine Ohnmacht, aber der rasende, feurige, durchdringende Schmerz hielt seine Sinne wach.
    Dann handelte er ohne zu überlegen, aus reinem Selbsterhaltungstrieb. Mit angezogenen Beinen hatte er sich so weit, wie es irgend ging, in die Ecke zurückgezogen, um Wenrichs gefräßiger Flamme auszuweichen. Jetzt, wo ersieh nicht mehr weiter zurückziehen konnte und wo der Schmerz ihm den Verstand zu rauben drohte, rammte er ruckartig beide Füße vor, direkt in den Bauch des Vogts.
    Der stieß mit einem pfeifenden Geräusch die Luft aus und knickte zusammen wie ein umgebrochener Strohhalm. Er fiel vor Albin auf den Boden und begrub die Fackel unter sich. Ein Schmerzensschrei gellte in Albins Ohren. Wenrich warf sich auf dem Estrich herum, als habe ihn, wie vor Tagen Graf Chlodomer, ein tödlicher Wahnsinn gepackt. Dabei schlug er die Hände vors Gesicht und ließ in einem fort ein lautes Stöhnen hören.
    Die alarmierte Wache riss die Tür auf und trat mit gezücktem Schwert ein. Als der Soldat seinen Herrn sich so kläglich am Boden wälzen sah, wollte er sich mit zum Hieb erhobenem Schwert auf Albin stürzen. Ein zweiter Mann betrat den Verschlag und hielt den Schwertarm des Wachtpostens von hinten fest.
    »Was soll das?«, zischte der Soldat.

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