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Die Nebelkinder

Die Nebelkinder

Titel: Die Nebelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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verrichten. Wenn das letzte Lied verklungen war, würden die ersten zaghaften Lichtfinger über die Mauern streichen und das ganze Kloster würde zum Leben erwachen.
    So ist es, war Findig in seinen Gedanken. Dann werden die Tore geöffnet, der Weg in die Freiheit. Bis dahin bezähme deine Ungeduld und alle Fragen, die dir auf dem Herzen liegen, junger Albin!
    Albin tat es dem älteren Elb nach und verbarg sich hinter Kisten und Säcken, um auf das Hereinbrechen der Morgendämmerung zu warten. Er konnte nur hoffen, dass seine Flucht aus dem Verschlag nicht vorher entdeckt wurde. Sonst würde es bestimmt nicht gelingen, die Abtei unbehelligt zu verlassen.
    Allmählich wurde es heller und sie hörten die verschlafenen Stimmen von Knechten und Mägden, die zu einem Tag voller Arbeit aufbrachen. Albins Herz schlug schneller, als er Waffen klirren und den harten Tritt von Soldatenstiefeln hörte. Aber es waren bloß die regulären Wachtposten, die Ablösung für die Nachtwachen an den Toren. Ein erschreckender Gedanke durchfuhr Albin: Was würde geschehen, wenn auch der Wächter vor dem Verschlag abgelöst wurde?
    Vertrau auf unser Glück und habe Geduld!
    Irgendwann fuhr ein zweirädriger Karren um den Kornspeicher. Der Fahrer hielt das von einem hellbraunen Klepper gezogene Gefährt ganz in der Nähe ihres Verstecks an, stieg vom Bock und sah sich suchend um. Albin erkannte ihn, es war Barthel. Unvermutet sprang Findig hinter einem Kistenstapel hervor und winkte dem Barschalk.
    Barthel kam eilig zu ihnen und sagte leise: »Hier steckt ihr also. Kommt schnell auf den Wagen! Niemand ist in der Nähe, die Gelegenheit ist günstig.« Findig zog den verwirrten Albin mit sich. Sie kletterten auf die leere Ladefläche, wo Barthel eine Lederplane über sie zog. Das also war ihr Weg in die Freiheit. Aber Barthel traf keine Anstalten, den Wagen aus der Abtei zu bringen. Mehrmals ging er zum Kornspeicher und lud einen Sack um den anderen rings um die beiden Elben. Erfüllt von Furcht und Unruhe lauschte Albin angespannt seinen Schritten.
    »So, das ist genug«, keuchte Barthel schließlich und hob die Plane an, um sie auch über die Kornsäcke zu ziehen. »Betet, dass der Herr mit uns ist!«, zischte er den beiden zu, bevor er auf den Bock kletterte und sein Pferd antrieb.
    Albin fragte sich unwillkürlich, ob ein Elb zum Herrn Jesus betete.
    Nein, unser Glaube ist ein anderer. Wir verehren die Götter, die aus den Bergen, den Wäldern und den Seen zu uns sprechen.
    Der Wagen ruckelte über die Höfe der Abtei. Laut hörte Albin das Knarren der Räder. Ein Hahn krähte irgendwo und weit entfernt schrammte klirrend ein Schleifstein an der Klinge einer Sense oder einer Axt entlang.
    »Zügle das Pferd, Kerl, was hast du geladen?«
    Der barsche Ruf war kaum verhallt, als der Karren mit einem solch heftigen Ruck anhielt, dass Albin kurz fürchtete, mitsamt den Säcken von der Pritsche zu rutschen.
    »Winterkorn für die Aussaat«, sagte Barthel. »Lass mich durch, wenn du nächstes Jahr genug Brot haben willst!«
    »Fleisch und guter Wein sind mir lieber«, erwiderte der Wachtposten und ließ ein meckerndes Gelächter folgen. »Los denn, Bauer, geh an dein Tagwerk!«
    Barthel schnalzte mit der Zunge, der Wagen fuhr an, und das Tor musste hinter ihnen liegen. Albin wäre am liebsten unter der Plane hervorgeklettert und hätte sich mit eigenen Augen davon überzeugt. War es wirklich so leicht, aus der Abtei zu entkommen?
    Aus den Klostermauern sind wir heraus, aber Wenrichs Arm reicht weit. Freu dich nicht zu früh, Albin!
    Für eine kleine Ewigkeit hörte er nichts anderes als das Klappern der Hufe, hin und wieder ein Schnauben des Zugpferds, das Knarren des Holzes und das einlullende Geräusch, das die sich drehenden Räder verursachten. Die Anspannung, die Albin die ganze Nacht wach gehalten hatte, fiel von ihm ab. Der Schmerz in Gesicht und Fuß schien nicht mehr so schlimm. Müdigkeit stieg in ihm auf, füllte ihn bis in die Finger- und Zehenspitzen aus und ließ seinen Verstand in einen verschwommenen Dämmerzustand hinübergleiten. Vielleicht wäre er ganz eingeschlafen, hätte nicht der über Stock und Stein holpernde Wagen ihn beständig durchgeschüttelt. Als der Karren schließlich anhielt, war es Albin gar nicht recht, bedeutete es doch, dass er aus dem dumpfen Dahindämmern in die weit weniger sorglose Wirklichkeit zurückkehren musste.
    Barthel zog die Plane über ihnen weg und Albins erster Eindruck war ein alles

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