Die Nebelkinder
das er aus dem Verschlag kriechen konnte. Aber der Boden hatte sich als viel zu fest erwiesen. Er war auf die Idee verfallen, zwei Bretter aus der Wand zu lösen. Doch als er den Dolch an der Wand ansetzte, bemerkte er schnell, dass dieses Unterfangen nicht ohne gehörigen Lärm vonstatten gehen würde. Also hatte er auch den Plan begraben und sich in Geduld geübt, auf diesen Augenblick gewartet. Was immer der Wächter von ihm wollte, der Soldat sollte sein blaues Wunder erleben!
Das hat er schon, dieser Dummkopf! War eingedöst und atmete seelenruhig den Schlaf staub ein. Jetzt schläft er richtig und wird nicht vor Mittag erwachen.
Da war sie wieder, die Stimme in Albins Kopf! Er zuckte zusammen, überrascht, verwirrt. Gleichzeitig beobachtete er den Schemen, der seltsam klein wirkte. »Wir Elben sind nun mal nicht die Größten«, sagte, diesmal halblaut, eine knarrende Stimme. »Was durchaus seine Vorteile hat. Zum Beispiel, wenn man ungesehen in diese Abtei hinein- und wieder herauskommen will.«
»Findig!«, stieß Albin im Flüsterton hervor, als er die Stimme erkannte. »Mit dir hatte ich nicht mehr gerechnet.«
»Sieht ganz so aus, als hätte ich mich gerade zur rechten Zeit entschieden, nach dir zu sehen, mein Junge. Hast dich ja in eine schöne Klemme gebracht. Nur mit deinem Messerchen wärst du wohl kaum aus der Abtei entkommen.«
»Woher weißt du...«
»Als ich eintrat, kreisten deine Gedanken um das Messer wie die meinen zuweilen um den Wein. Außerdem kann ich sehen, dass du nicht gerade mit einem Schwert bewaffnet bist. Das wäre doch ein bisschen zu lang, um es hinter dem Rücken versteckt zu halten.«
»Sehen, in dieser Dunkelheit?«
»In den Höhlen der Schwarzelben ist ‘ s oft nicht viel heller. Aber jetzt komm endlich! Zum Schwatzen ist später noch Zeit.«
Albin erhob sich und folgte dem Elb nach draußen. Der Wächter hockte mit vorgeneigtem Haupt auf einer Kiste, den Rücken an eine Wand des Verschlags gelehnt, und schnarchte selig vor sich hin. Findig schob die Tür zu und legte den Riegel vor.
»Komm schon«, sagte er leise und huschte im Schutze der Nacht, die ihren dunklen Mantel bald lüften würde, um das große Viereck des Kornspeichers. Er war flink wie ein Wiesel. Albin mit seinem verstauchten Fuß konnte kaum Schritt halten.
Sei froh, dass du noch Schmerz empfinden kannst!, hörte er Findigs lautlose Stimme in seinem Kopf. Hätte Wen- rich dich zum Richtblock schleifen lassen, sähe das anders aus.
Der Elb hockte hinter Stapeln aus Kisten und Säcken unter einem Vordach und winkte Albin zu sich. Der Findling empfand es als Wohltat, sich neben ihn zu setzen und nicht länger den verstauchten Fuß belasten zu müssen, der in kurzen, regelmäßigen Abständen heiße Schmerzwellen durchs ganze Bein sandte.
»Und jetzt?«, keuchte er. »Aus dem Verschlag bin ich raus, aus der Abtei nicht.«
»Nur Geduld, zaubern kann ich nicht«, erwiderte Findig und klang etwas verstimmt. »Du solltest mir dankbar sein für das, was ich für dich getan habe.«
»Wenn ich mich recht erinnere, habe ich dasselbe auch für dich getan.«
»Aber du warst es mir schuldig, weil du mich in die missliche Lage gebracht hattest«, sagte Findig, offenbar zum Streit aufgelegt.
»Und ohne deinen Rat, in der Abtei zu bleiben, wäre ich nicht in dieser misslichen Lage, Findig.«
»Ich dachte, die Tochter des Grafen hätte dir das Bleiben leicht gemacht.«
»Gerswind? Sie ist nicht mehr hier. Sie ist...«
»Von den Rotelben verschleppt, jaja, ich weiß«, unterbrach ihn Findig. »Diese Rotschöpfe werden immer gefährlicher. Wird Zeit, dass ihre Herzen Bekanntschaft mit einer scharfen Klinge schließen.«
»Du weißt von Gerswind? Wo ist sie?«
»Vermudich bei den Schwarzelben. Nach allem, was ich in Erfahrung bringen konnte, hat ein Trupp Rotelben bei König Amon Unterschlupf gefunden. Möchte wissen, was der Schwarzelbenkönig zusammen mit den Roten ausheckt.«
»Was weißt du noch über Gerswind? Geht es ihr gut?«
»Keine Ahnung«, antwortete Findig und legte den Kopf schief. »Horch, die Glocke!«
Vom Kirchturm, den sie von ihrem Versteck aus nicht sehen konnten, erscholl der Ruf zum Morgenlob. Albin stellte sich vor, wie die Mönche im Dormito- rium sich aus ihren Decken schälten, manche schon andächtig, andere noch schlaftrunken oder den Glockenhall gar insgeheim verfluchend. In langer Reihe wankten sie durch den überdachten Gang vom Schlafsaal in die Kirche, um ihre Lobgesänge zu
Weitere Kostenlose Bücher