Die Nebelkinder
ähnlich gehandelt. Er war auf diese Bewegung abgerichtet wie ein Tanzbär auf die Befehle seines Herrn. Ohne die Bedeutung seiner Vogelfüße zu kennen, hatte Albin immer gewusst, dass ihr Anblick ihm nur Arger einbringen würde. Graman hatte ihm von klein auf eingeschärft, niemandem seine bloßen Füße zu zeigen. Jetzt aber wusste wohl jedermann in der Abtei von seinen Teufelsklauen. Die Erkenntnis war bitter, und er stellte den Versuch ein, seine Füße zu verstecken.
Der Besucher trug eine mit Harz getränkte und mit Werg umwickelte Fackel, die er dicht vor Albins Gesicht hielt. Von der unerwarteten Helligkeit geblendet kniff Albin die Augen zu. Die Hitze schien ihm so nah, dass sie ihn jeden Augenblick versengen konnte. Er rutschte rückwärts in eine Ecke des Verschlags, bis es nicht mehr weiterging. Als er die Augen wieder aufschlug, füllten sie sich wegen des beißenden Fackelrauchs mit Tränen. Durch den dichten Schleier sah er den aufrecht vor ihm stehenden Mann nur undeutlich. Er wollte die Tränen wegwischen, aber seine gefesselten Arme ließen das nicht zu. Die Armbewegung verendete in einem kläglichen Schulterzucken.
»Hier hilft dir kein Elbenzauber, Kind des Nebels«, sagte eine schneidende Stimme.
Albin erkannte sie sofort und wünschte sich, sie niemals gehört zu haben. Die Tränenschleier lösten sich zum Teil auf und die Augen sahen endlich, was die Ohren bereits erkannt hatten. Vor Albin stand Wenrich. Mit einer Mischung aus Hass und Befriedigung sah der Vogt auf ihn herab und ein böses Lächeln glitt über Wenrichs Gesicht, das im Halbdunkel des Verschlags noch schmaler wirkte als gewöhnlich. Die Finsternis schien an ihm zu nagen und sein Anditz verschlingen zu wollen.
»Ich sehe Furcht in deinen Augen, Rabenfuß. Schön, deshalb hin ich gekommen. Glaub nicht, dass der Nordmann, der Pfaffe Graman und Graf Guntram dich retten können. Ich habe die Verhandlung nur vertagt, um Manegold nicht zu vergrämen. An deinem Schicksal wird es nichts ändern. Vielleicht ist es ganz gut so. Hätte ich dir schon heute den Kopf abschlagen lassen, wäre es reichlich schnell gegangen, zu schnell!« Die zu Schlitzen zusammengezogenen Augen des Vogts verfolgten aufmerksam jede Regung Albins. Jedes ängstliche Zucken in Albins Gesicht, jedes unruhige Zwinkern seiner Augen schien wie ein
Schluck, den Wenrich aus einem tiefen Becher nahm, um seinen unerklärlichen Hass zu stillen.
»Bist du nur gekommen, um mich zu quälen?«, fragte Albin. »Wenn du mich für einen Verräter und Mörder hältst, willst du dann nicht von mir wissen, wohin Gerswind gebracht wurde und weshalb Chlodomer sterben musste?«
»Beides sind Guntrams Sorgen, nicht meine«, erwiderte Wenrich kalt. »Soll er sich um sein Tochterherz die Augen ausweinen und für Chlodomers Tod vor König Arnulf zu Kreuze kriechen! Er hat ‘ s nicht anders verdient. Was er mit meinen Hunden getan hat, war nicht recht.«
»Deine Hunde?«, stieß Albin ungläubig hervor. »Deine Hunde sind dir wertvoller als Menschenleben ... als Gerswind?«
»Hundertmal wertvoller!«
»Warum? Warum verachtest du die Menschen so?«
»Das fragst ausgerechnet du, eine Kreatur des Bösen?« Wenrich spie ihn an, und der Auswurf traf Albin mitten ins Gesicht. »Geschöpfe wie du sind es doch, die Unglück und Leid über die Menschen bringen. Und Qualen...« Die Stimme des Vogts erbebte und versagte den Dienst. Die rechte Hand mit der Fackel zitterte heftig und die linke schloss und öffnete sich in schneller Folge wie von einem Krampf befallen.
»Ich habe nie einem Menschen Leid zugefügt, nicht mit Absicht«, sagte Albin leise. »Und ich wüsste nicht, was ich dir getan haben könnte, Herr.«
»Nicht du, aber andere, die ebenso verflucht sind, so verwachsen und dem Bösen ergeben!« Wenrich hatte ihn angeschrien. Jetzt fuhr der Vogt mit ruhigerer Stimme fort: »Vor drei Jahren hatte ich Weib und
Kinder, eine Tochter, damals etwas jünger als Gerswind heute, und zwei Söhne, einer noch klein, der andere fast so alt wie du. Im Winter zog ein schlimmes Fieber durchs Land, das weder Arm noch Reich verschonte. In mancher Hütte und auf manch großem Hof blieb nicht ein einziger Mensch am Leben. Auch meine Gemahlin und meine Kinder wurden von der Plage ergriffen. Ich selbst blieb verschont, weil ich im Auftrag des Königs unterwegs war. Als ich heimkehrte, fand ich die Meinen mit dem Tode ringend vor und kein Medicus wusste Rat. Eine seltsame Gauklertruppe zog durch
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