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Die Nebelkinder

Die Nebelkinder

Titel: Die Nebelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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nicht ganz ohne Hilfe dastehen. Und Hilfe konnte er gebrauchen, wenn er Gerswind retten wollte.
    Undeutlich trug der Morgenwind den fernen Glockenruf zur Terz an Albins Ohren. Die Mönche im Kloster strömten jetzt in die Kirche, um die dritte Stunde des jungen Tages zu feiern. Und die Arbeiter auf den Feldern gönnten sich eine kurze Rast, einen Schluck Wasser und ein Stück Brot. Bis gestern hatte auch Albin sein Leben nach dem Läuten der großen Kirchenglocke ausgerichtet, aber das Gestern schien ihm unendlich weit entfernt, wie ein anderes Leben.
    Das Blut in seinen Ohren pochte und verdrängte zusammen mit seinem keuchenden Atem fast den schwachen Glockenhall. Findig war flink und unermüdlich - und Albin mit seinem schlimmen Fuß am Ende seiner Kräfte. Noch ein Schritt und noch einer, dann ging es nicht mehr, der Fuß versagte den Dienst. Wie ein gefällter Baum schlug Albin ins hohe Gras, das feucht war vom Morgentau. Er empfand den kühlen Tau in seinem Gesicht, auf seiner Stirn und besonders auf der brennenden Wange als sehr angenehm. Das
    Stechen im Fuß ließ etwas nach, sobald er ihn nicht mehr belastete. Albin schloss die Augen und wünschte sich, jetzt tief und fest zu schlafen.
    »Hast du meinen Schlafstaub eingeatmet oder was?« Findig rüttelte unsanft an seiner Schulter. »Los, auf die Beine, Junge! Hast ja nicht mehr Puste als ein Greis.«
    Mühsam hob Albin seinen Kopf, der sich unendlich schwer anfühlte, und bedachte den anderen mit einem gequälten Blick. »Wäre der verfluchte Fuß nicht, wäre ich dir längst davongerannt!«
    Findig erwiderte den Blick hart und ohne Mitleid. »Jammern und Heulen sind des Versagens Säulen. Gerswind hat sich da einen schönen Helden ausgesucht, der beim kleinsten Schmerz schlapp macht.« Verächtlich spie er vor Albin aus.
    Wütend stemmte sich Albin hoch, kam wankend auf die Füße und stolperte ein paar Schritte voran. Aber der lädierte Fuß wollte ihm nicht länger gehorchen, und abermals fiel er ins Gras.
    »Ich sehe ein, du brauchst eine Rast«, knurrte Findig. »Stütz dich auf mich. In der Nähe gibt es eine Quelle, dort können wir ausruhen.«
    Albin kannte den Ort, den man am Mondsee die Drachenquelle nannte. Sie lag am Fuß der Drachenwand. Klares Wasser sprudelte aus dem Berg und sammelte sich in einer kleinen, nicht mehr als fünfzig Fuß durchmessenden Mulde. Erschöpft sank Albin am Rande des Teiches auf die Knie, um sein Gesicht zu benetzen. Als er seine Hände ins Wasser tauchen wollte, hielt er inne. Ein Schreck erregendes Anditz starrte ihm aus dem Wasser entgegen und nur langsam begriff er, dass es sein eigenes Gesicht war. Wenrichs Fackel hatte die Haut der linken Wange geschwärzt, ähnlich dem Gesicht des Vogts, nur dass dessen Brandwunde noch größer war.
    »Der Hass kennt keine Unterschiede«, sagte Findig, der wieder seine Gedanken gelesen haben musste. »Er verbrennt den, der gehasst wird, ebenso wie den, der hasst. Wer in der Kraft des Hasses auch nur irgendetwas Nützliches erspähen will, sollte durch diese Erkenntnis eines Besseren belehrt werden. Denke immer daran, Albin, wenn du dein Spiegelbild siehst. Dann hatte die letzte Nacht für dich auch ihr Gutes.«
    Albin war zu entkräftet, um Findigs Gedankengang zu folgen. Er nickte trotzdem und tauchte sein Gesicht ins Wasser, als könnte er durch das Zerstören seines Spiegelbilds auch die Brandwunde wegzaubern. Das Quellwasser war noch kühler und erfrischender als der Tau. Mehrmals tauchte Albin seinen Kopf ein, trank und erfrischte sich zugleich. Er spürte, wie neue Kraft in seinen ermüdeten Leib strömte.
    Als er genug hatte, war Findig verschwunden. Nur Bartheis Päckchen lag an der Stelle, wo der Elb eben noch gestanden hatte. Mehrmals rief Albin Findigs Namen, ohne eine Antwort zu erhalten. Er blickte über die leicht geschwungenen Hügel, die sich im Osten bis zum Mondsee hinzogen, dann auf den Wald in der entgegengesetzten Richtung. Nichts. Seine Augen suchten die bemoosten Felsen am Beginn der Drachenwand ab, ebenfalls ohne Erfolg. Selbst in den grauen, wolkenverhangenen Himmel sah Albin, als könnte Findig dort Zuflucht gefunden haben. Wer konnte schon sagen, über welche Kräfte der geheimnisvolle Elb verfügte? Mit leichtem Schaudern erinnerte sich Albin an die alte Legende, der zu Folge die Nebelkinder sich unsichtbar machen konnten.
    Während er noch überlegte, wo er den Verschwundenen suchen sollte, meldete sich sein hungriger Magen mit einem geräuschvollen

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