Die Nebelkinder
Schwarz- und Lichtelben seinen Befehlen beugten. Unter seiner Herrschaft hätten die drei restlichen Stämme zu einem geeinten und dadurch stärkeren Volk zusammenwachsen können. Aber der Traum erstarb mit Alwis' unerwartetem Tod.«
»Wurde der König ermordet?«
Überrascht sah Findig den Jüngeren an. »Wie kommst du darauf?«
Albin fasste an seine Stirn. »In meinem Kopf war auf einmal ein erschreckendes Bild. Ich hörte Schreie von Männern und Frauen, und ich sah Blut, überall Blut.«
»Ich muss meine Gedanken stärker abschirmen, du bist wahrhaftig stark«, lobte Findig. »Und du hast Recht, Alwis starb eines gewaltsamen Todes. Eine Bande Meuchler drang in seine Burg, diese Burg, ein und tötete den König mitsamt seiner ganzen Familie: Frau, Kindern, Brüdern und Schwestern. Nichts mehr blieb übrig vom weisen Elbenkönig Alwis, nichts.«
Findigs Stimme wurde rau. Verstohlen wischte er sich über die linke Wange, auf der Albin eine Träne bemerkt zu haben glaubte. Aber vielleicht war es auch ein Schweißtropfen gewesen, was in Anbetracht der Hitze, die aus dem Heißwasserloch strömte, nicht verwunderlich gewesen wäre.
»Wer waren die Mörder?«, fragte Albin.
»Angeblich Schwarzelben. So berichteten es die Männer der Garde, die dem König zu spät zu Hilfe eilten. Ihr Hauptmann sagte, er selbst hätte die Schwarzelben gesehen. Um die Braunelben in einem möglichen Krieg gegen den Bruderstamm nicht führerlos dastehen zu lassen, schwang er sich zu ihrem neuen König auf. Seitdem herrscht Durin über die Braunelben.«
»Und? Kam es zum Krieg?«
»Er konnte mit viel Mühe verhindert werden. Doch seit damals besteht starkes Misstrauen zwischen Braun- und Schwarzelben. Um nicht zwischen die Fronten zu geraten, haben die Lichtelben sich ganz in ihren Bergwald zurückgezogen. Der Große Rat ist nie mehr zusammengetreten. Die Kontakte zwischen Braun- und Schwarzelben beschränken sich auf die notwendigen Geschäfte. Die Schwarzelben fördern das Erz, das die Schmiede unseres Stammes mit viel Geschick weiterverarbeiten.«
»Was sagte denn der Schwarzelbenkönig zu der ganzen Sache?«
»Amon? Er stritt natürlich ab, in den Überfall auf König Alwis verwickelt zu sein. Ihm war nichts nachzuweisen, doch sprach einiges gegen ihn. Nicht nur der Umstand, dass Durin und seine Männer in den fliehenden Meuchlern Schwarzelben erkannt haben wollten. Kurz zuvor war es im Großen Rat zu einer heftigen Auseinandersetzung gekommen. Amon, offenbar gekränkt durch den großen Einfluss, den Alwis auf alle Stämme ausübte, hatte ihm vorgeworfen, er wolle das erreichen, was dem Rotelbenkönig Erko einst versagt geblieben ist, und sich mit Macht zum Herrscher über alle Elben aufschwingen.«
»Das wirft ein düsteren Licht auf den König der Schwarzelben.«
»Ein sehr düsteres«, pflichtete Findig bei.
»Und sonst kam niemand für den Mord an König Alwis in Frage?«
»Niemand außer Amon wurde damals verdächtigt.«
»Du sagst das so, als würdest du es bezweifeln, Findig.«
Findig sah ihn ernst an, mit einem Blick, der durch Albin hindurchzugehen schien. »Was nutzen Zweifel, die nicht zu begründen sind? Was sollen Gedanken über Dinge, die längst geschehen und nicht mehr zu ändern sind? Die gute Zeit des Königs Alwis liegt viele Jahre zurück. Wir sollten uns besser mit der Zukunft befassen, und die hängt nicht unwesentlich mit dem Schicksal Gerswinds zusammen. Du willst sie doch retten, nicht? Also erheb dich und versuch, ob dein linker Fuß dich trägt!«
Albin zögerte beim Aufstehen. Aber nicht, weil er Angst vor der Standfestigkeit seines linken Beins gehabt hätte. Seine Gedanken kreisten um Findigs Erzählung und um den Erzähler selbst. Auch wenn
Findig von der Geschichte seines Volkes wie ein Unbeteiligter gesprochen hatte, drängte sich Albin der Eindruck auf, dass der ältere Elb viel tiefer in das alles verwickelt war, als es sich seinen Worten entnehmen ließ. Ein Geheimnis umgab Findig, und Albin hatte das unbestimmte, aber gleichwohl beunruhigende Gefühl, ein wichtiger Teil dieses Geheimnisses zu sein.
»Auf zwei Beinen hältst du dich wacker«, stellte Findig fest. »Aber wie sieht es aus, wenn es nur auf das linke ankommt?«
Er hob den Ast vom Boden auf und schlug gegen Albins rechten Unterschenkel. Mehr aus Überraschung denn vor Schmerz winkelte der Findling das rechte Bein an. Vollkommen ruhig und gerade stand er auf nur einem Bein.
»Schmerzen?«, fragte Findig.
»Nein, nicht
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