Die Nebelkinder
die Fähigkeit, die Dinge auf den Punkt zu bringen.«
»Jetzt hüllst du dich in Rätsel, Findig.«
»Ich will nur sagen, dass der Elbenkrieg mit deinen anderen Fragen in engem Zusammenhang steht. Mit diesem Krieg hängt zusammen, wo und wie das Volk der Nebelkinder heute lebt.«
»Erzähl mir davon«, bat Albin.
Findig legte den Ast beiseite und setzte sich auf einen der Steine, die, wie der ganze Felsboden, von dem unterirdischen Wasser erwärmt wurden. »Einst lebten die vier Stämme der Nebelkinder in einem weit entfernten, fruchtbaren Land, über das sie herrschten wie heute die Großwüchsigen über dieses Land und viele angrenzende. Das Alte Land war groß und musste es sein, denn zahlreich war das Elbenvolk. Die Herrscher der vier Stämme bildeten einen Großen Rat, in dem alle wichtigen Fragen besprochen wurden. Das vermied Missgunst und Streit zwischen den Stämmen. Einem der Herrscher aber war es insgeheim nicht genug, nur über einen einzigen Stamm zu befehlen. Erko war sein Name, und er war der König der Rotelben. Es war zu der Zeit, als die ersten Großwüchsigen in das Alte Land kamen. Erko wollte sie und die anderen Elbenstämme gegeneinander ausspielen. Er schloss ein Bündnis mit den Großwüchsigen und lockte die Elbenarmee, die den Feind aus ihrem Land vertreiben wollte, in einen Hinterhalt. Nach der Schwächung der Elben wollte Erko sich zu ihrem alleinigen Herrscher aufschwingen. Das Bündnis mit den Menschen sollte seine Macht auf Dauer festigen. Die Menschen aber waren noch treuloser als der Rotelbenkönig. Sie begingen Verrat an dem Verräter und metzelten nach dem Sieg über das Elbenheer fast den ganzen Rotelbenstamm mitsamt ihrem König nieder. Deshalb gibt es heute nur noch sehr wenige Rotelben, die ohne feste Heimat durchs Land ziehen, mal raubend und mordend, mal sich als Meuchler verdingend, immer nur geduldet, nie geliebt.« Findig erhob sich mit einem heftigen Kopfschütteln, wie um die dunkle Vergangenheit seines Volkes von sich abzustreifen. »Nimm den Fuß jetzt raus, sonst gibts heute Fleischbrühe zum Abendmahl.«
Albin hatte Findigs Geschichte so gebannt gelauscht, dass er seinen Fuß ganz vergessen hatte. Als er ihn jetzt aus dem Wasserloch zog, sah er, dass die Haut bis hoch zum Knie feuerrot war.
»Keine Sorge, die Rötung ist morgen verschwunden«, sagte Findig. »Und die Schwächung des Fußes auch, hoffen tl ich.«
»Hoffentlich?«, stieß Albin entrüstet hervor. »Du weißt also gar nicht, ob das hier hilft?«
»Bei Füßen habe ichs noch nicht versucht«, antwortete Findig mit einem entschuldigenden Lächeln. »Ich werde den deinen ein wenig massieren, das kann nicht schaden.« Er kauerte sich vor Albin auf den Felsboden, ergriff den vom heißen Bad aufgedunsenen Fuß und begann mit einer sanften und doch kraftvollen Massage.
Albin schloss die Augen und genoss die neue Kraft, die seinen Fuß mit jedem Handstrich Findigs durchströmte. Jeglicher Schmerz schien aus dem Fuß gewichen. »Was geschah mit den Nebelkindern, nachdem sie den Kampf gegen die Menschen verloren hatten?«
»Sie mussten das Alte Land verlassen. Es war ein langer, mehrere Generationen dauernder, verlustreicher Marsch, bis sie in diese abgelegenen Berge kamen, wo damals die Großwüchsigen so fern schienen wie ehedem im Alten Land. Das war ein Trugschluss, denn die Menschen sind zahlreich wie die Wassertropfen in den Bergseen. Schnell engten sie die Nebelkinder ein und jetzt leben wir hier in der ständigen Furcht, von ihnen hinweggeweht zu werden. Wir sind nur noch ein kleines Volk, zusätzlich geschwächt durch die Uneinigkeit der drei verbliebenen Stämme.«
Albin öffnete die Augen und sah den älteren Elb erstaunt an. »Wieso sind die Stämme sich uneins, wenn die Macht der Rotelben doch gebrochen ist?«
Findig seufzte. »Die Frage ist gut, was man daran erkennt, dass ich selbst sie mir schon oft gestellt habe. Die bösen Kräfte, die Erko damals zu seinem Verrat trieben, sind leider nicht auf die Rotelben beschränkt.«
»Von was für Kräften sprichst du, Findig?«
»Von Neid, Gier und Machtstreben. Sie sind dafür verantwortlich, dass einer über dem anderen stehen will, über ihn herrschen möchte, sich auf seine Kosten zu bereichern sucht. Noch nicht lange ist es her, da schien es, als würde das Elbenvolk zu neuer Stärke erblühen. Der Braunelbenkönig Alwis, der sich durch Weisheit und Redlichkeit auszeichnete, genoss im Großen Rat solche Anerkennung, dass sich auch
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