Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nebelkinder

Die Nebelkinder

Titel: Die Nebelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
Vom Netzwerk:
die geringsten.«
    Ein zufriedenes Lächeln trat auf Findigs Gesicht. »Manchmal staune selbst ich über mich.«
    Noch viele Fragen, die das Volk der Nebelkinder betrafen, lagen Albin auf der Zunge. Er stellte sie, als er abends mit Findig und anderen Braunelben um ein großes Feuer saß, das in einem der zahlreichen Innenhöfe der Elbenburg brannte. Ein Wildschwein briet über den Flammen und jeder konnte sich von dem Fleisch abschneiden, was sein Hunger verlangte. Dazu gab es Früchte, Käse und ein dunkles, süß schmeckendes Brot. Und einen Birnenmost, dem Findig reichlich zusprach.
    »Die seltsamen Kräfte, über die wir verfügen, auch ich, wieso haben die Menschen sie nicht?«, fragte der Findling.
    Findig trank einen weiteren großen Schluck aus seinem mit Gravuren verzierten Zinnbecher. »Meinst du die Fähigkeit, in die Gedanken eines anderen einzutauchen, in ihnen zu lesen, fremde Bilder in ihnen zu erzeugen?«
    Albin biss in sein Bratenstück und nickte.
    »Ich glaube, einst verfügten auch die Großwüchsigen über diese Gaben«, sagte Findig. »So berichten es jedenfalls die alten Erzählungen. Nach und nach verloren die Menschen das, was die Natur ihnen mitgegeben hatte. Vielleicht waren sie nicht mehr darauf angewiesen, vielleicht auch waren sie so viele an der Zahl, dass die Fülle fremder Gedanken ihnen Schmerz bereitete. Uns Nebelkindern dagegen kamen unsere alten Kräfte bei unserem Kampf ums Überleben immer wieder zustatten. Wurden wir von den Großwüchsigen gejagt, konnten wir uns still verhalten und uns nur durch die Kraft unserer Gedanken verständigen. Wir konnten Trugbilder aufbauen, um die Feinde abzulenken. Und wir konnten in ihren Gedanken lesen, um ihre Pläne zu erforschen. Wir waren wenige und brauchten deshalb all unsere Kräfte.«
    »Besitzen alle Elben diese Kräfte?«
    »Ja, aber nicht bei allen sind sie so stark ausgeprägt wie bei König Durin, bei mir oder...«
    Als Findig stockte, fragte Albin: »Bei mir?«
    »Ja, auch du hast die alten Fähigkeiten bewahrt.«
    »Warum ich, wo ich doch unter Menschen aufgewachsen bin? Hätten meine Kräfte nicht verkümmern müssen?«
    Nach kurzem Zögern erwiderte Findig: »Du willst alles genauer wissen, als ich es dir sagen kann.«
    Albin fixierte sein Gegenüber und fragte im scharfen Ton: »Als du es sagen kannst oder als du es sagen willst? Ich habe schon lange den Eindruck, dass du mir etwas verschweigst, Findig.«
    Findig wich seinem Blick aus und starrte in seinen zur Hälfte geleerten Becher. Mit leiser, schleppender Stimme sagte er: »Die Menschen, obwohl häufig nicht sehr weise, haben ein treffendes Sprichwort: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.«
    Er setzte den Becher an die Lippen, warf den Kopf in den Nacken und leerte das Zinngefäß mit einem Zug. Most rann seine Mundwinkel hinunter und tropfte auf seinen Kittel. Mit einer fahrigen Bewegung stellte er den Becher ab und stieß ein lautes Rülpsen aus. Der süßlich-strenge Geruch des Mostes schlug Albin entgegen. Findig wischte mit einem Ärmel über seinen verklebten Mund. Seine Augen nahmen einen starren Ausdruck an und fielen kurz darauf zu. Er kippte zur Seite und begann, laut zu schnarchen.
    »Darauf falle ich nicht rein, so schleichst du dich nicht davon!«, stieß Albin wütend hervor. Er beugte sich über Findig und rüttelte an dessen linker Schulter. »He, spiel nicht den Schlafenden! Ich weiß, dass du viel mehr verträgst als die paar Becher.«
    Nach mehrmaligem Rütteln öffnete Findig die Augen zu einem kurzen Schlitz und murmelte: »Bin so müde, war ein anstrengender Tag. Lass mich schlafen!«
    »Nichts da!«, sagte Albin laut und sprach geradewegs in ein Ohr des anderen. »Ich will endlich wissen, woran ich bin. Ich will Antworten haben!«
    »Wollen wir das nicht alle? Warte bis morgen, dann wird Durin uns Antworten geben.« Findigs Stimme wurde mit jedem Wort leiser, und seine Augen fielen abermals zu. Den letzten Worten folgte übergangslos ein noch lauteres Schnarchen.
    Verärgert kauerte sich Albin neben ihn. Die wohlige Wärme des nahen Feuers umhüllte ihn und bald wich sein Arger dem sanften Hinübergleiten in den Schlaf. Es war wirklich ein anstrengender Tag gewesen, und Albins ausgelaugter Leib verlangte sein Recht.
    »Los, auf mit dir! Wer schläft, verpasst das Leben.«
    Die laute Stimme und starkes Rütteln weckten Albin. Benommen öffnete er seine schlafverklebten Augen und sah direkt vor sich Findigs wettergegerbtes Gesicht. Hinter Findigs

Weitere Kostenlose Bücher