Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nebelkinder

Die Nebelkinder

Titel: Die Nebelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
Vom Netzwerk:
ideale Platz, um eine Gefangene zu verstecken.«
    Wie Recht er mit dieser Bemerkung hatte, stellten seine Begleiter am Abend des folgenden Tages fest, als Findig sie tiefer und tiefer in die scheinbar endlosen Höhlen führte. Als sie durch einen verborgenen Spalt ins Innere des Berges geklettert waren, war es draußen noch taghell gewesen - jedenfalls so hell, wie es im dämmrigen Schwarzelbental tagsüber war. Jetzt musste die Sonne längst untergegangen sein. In der Finsternis der Höhlen, die nur vom Licht der mitgebrachten Fackeln erhellt wurde, machte das keinen Unterschied. Hin und wieder erlosch eine der Fackeln und eine andere wurde als Ersatz angezündet. Das war die einzige Abwechslung auf ihrem schweigsamen Marsch durch das Höhlenreich.
    Irgendwann legte Waldo eine Hand auf Findigs Schulter und sagte: »Das hier ist ein Ort für Tote, nicht für lebende Wesen. Hier kann man verhungern und verdursten, ohne dass es jemand mitbekommt. Und eine Höhle sieht aus wie die andere. Woher bist du so sicher, welchen Weg du nehmen musst?«
    »Ich spüre es. Die Empfindungen und die Gedanken, die ich wahrnehme, werden immer deutlicher. Sie weisen mir die Richtung. Geht es dir nicht auch so, Albin?«
    »Vorhin glaubte ich kurz, so etwas wie einen lautlosen Hilferuf zu vernehmen. Und ich dachte, Gerswind vor mir zu sehen. Aber es war nur wie ein flüchtiger Gedanke, und ich hätte keine Richtung anzugeben vermocht.«
    »Wenn du dich nur auf diesen Gedanken konzentrierst und alles andere beiseite drängst, wirst du es können«, meinte Findig und setzte seinen Weg fort.
    Jetzt wurde es mit jedem Schritt kälter und alle, die noch barfuß gingen, umwickelten ihre Füße mit Lappen, die sie in ihrem Gepäck hatten. Albin war froh, dass er Wollstrümpfe und feste Lederstiefel angezogen hatte, bevor er Durins Burg verließ. Trotzdem drang die Kälte aus dem Boden in seine Füße, kroch seine Beine hinauf und breitete sich in seinem ganzen Leib aus. Immer wieder hauchte er in die
    Handflächen und ballte die Hände zu Fäusten, weil der beißende Frosthauch seine Finger zu lähmen drohte. Hinter sich hörte er lautes Klatschen und gleich darauf einen noch lauteren Fluch.
    Ivo war gestürzt. Mühsam richtete er sich auf und rieb sein breites, schmerzendes Hinterteil. Fast wäre er noch einmal hingefallen.
    »Neunmal verfluchte Glätte!«, knurrte er. »Wenn man nicht aufpasst, bricht man sich sämtliche Knochen.«
    Die Mischler hielten ihre Fackeln tiefer und beleuchteten den Boden. Das Felsgestein war teilweise mit Eis überzogen. Vor ihnen nahmen die eisigen Flächen zu und bedeckten bald jeden Fußbreit. Auch an den Wänden und an der Decke glitzerte es kalt und weiß. Gefrorenes Wasser in den seltsamsten Ausformungen umgab die Mischler und die beiden Elben. Riesige Eiszapfen, manche größer als ein Ochse, hingen herab, sanft gerundet oder scharf gezackt, mal gerade und glatt, dann wieder in den unglaublichsten Verästelungen.
    Vorsichtig, um nicht auszurutschen, suchten sie ihren Weg zwischen den Eisfelsen hindurch und mehrmals schreckten die Gefährten vor dämonischen Wesen zurück, die sich erst auf den zweiten Blick als aus Eis geformt entpuppten. Als sie schon glaubten, der Eiswelt niemals mehr zu entrinnen, wurde die Luft endlich wärmer. Das Eis trat zurück und gab den blanken Fels wieder frei. Elben und Mischler fassten sicheren Tritt und gingen schneller, um der Mordskälte zu entfliehen.
    »Schweigt jetzt, und tretet leise auf!«, ermahnte Findig seine Begleiter im Flüsterton. »Wir müssen den Rotelben sehr nah sein. Ich spüre es, obwohl ich nicht viele Gedanken vernehme. Die Zahl unserer Gegner scheint geringer zu sein, als wir angenommen haben.«
    Sie ließen die Eishöhlen hinter sich. Die angenehme Wärme, die ihnen von vorn entgegenströmte, stand in einem krassen Gegensatz zu dem frostigen Atem, der sie eben noch umweht hatte. Vergebens fragte sich Albin, wie es so große Wärme und so starke Kälte unmittelbar nebeneinander geben konnte. Nach seinem Dafürhalten hätte das Eis wegschmelzen müssen wie der Winterschnee im Licht der Frühlingssonne. Dass es nicht so war, musste mit der Luftströmung in dem weitverzweigten Höhlensystem zusammenhängen. Sie trennte heiße und kalte Luft, anders war es nicht zu erklären.
    Bald waren die Wanderer, die eben noch vor Kälte gezittert hatten, nass geschwitzt. Als der Höhlengang sich zu einem weit gestreckten, hohen Felsendom erweiterte, stießen sie auf

Weitere Kostenlose Bücher