Die Nebelkinder
wegzuräumen. Morgen würden sie damit beginnen, das Zerstörte wieder aufzubauen. Bevor der Winter das Land in Eis und Frost erstarren ließ, sollte die Befestigung zumindest notdürftig wiederhergestellt sein. Denn der Winter trieb die hungrigen Wölfe aus den Wäldern zu den Ansiedlungen der Menschen.
Die Glieder des Mannes schmerzten und sein Magen krampfte sich vor Hunger zusammen. Er freute sich auf sein Heim und auf eine warme Suppe, in der vielleicht sogar ein paar kleine Fleischstücke schwammen. Für das offenbar grundlose Anhalten seines Pferdes hatte er wenig Verständnis und versuchte, das Tier erst mit ermunternden Zurufen, dann mit harschen Flüchen anzutreiben. Aber nach zwei, drei zögernden Schritten blieb der Hellbraune wieder stehen und wieherte schrill. Es klang wie ein Warnruf.
Es dämmerte bereits und hier in der Senke gab es mehr Schatten als Licht. Auch ein gottesfürchtiger Mann mied besser die Dunkelheit, besonders am Mondsee. Die jüngsten Ereignisse hatten gezeigt, dass in den zerklüfteten Bergen ringsum Wesen hausten, die wie aus dem Nichts auftauchten, um Tod und Vernichtung zu bringen, mochten es nun Nebelkinder sein oder die seltsamen Gestalten, die das Kloster in der vergangenen Nacht angegriffen hatten.
Mürrisch und ein wenig ängstlich zugleich stieg der Mann ab, ging nach vorn und fasste ins lederne Zaumzeug. »Was hast du nur?«, fragte er, dem Zugtier zugewandt, mit eindringlicher Stimme. »Kriegst wohl den Altersstarrsinn, wie? Soll ich dich nach Hause ziehen?«
»Ubernimm dich nicht, Barthel«, sagte Findig, der zusammen mit Albin hinter einem Stachelbeerstrauch lag. »Dein Klepper ist noch frischer, als du meinst. Er hat uns immerhin bemerkt. Hätten wir dunkle Absichten gehegt, wärst du ohne ihn ahnungslos in die Falle getappt.«
Sie erhoben sich aus ihrem Versteck und traten zu dem Barschalk, der ihnen verwundert entgegensah. Erneut wirkte sein Blick, der hinauf zu den Anhöhen glitt, furchtsam.
»Keine Bange, niemand kann uns hier sehen«, beruhigte ihn Findig. »Gerade deshalb haben wir diesen Ort gewählt, um auf dich zu warten.«
Ein widerwilliges Zucken ging durch Bartheis Gesicht. Das Zusammentreffen schien ihm unangenehm zu sein. Albin verstand ihn gut. Schon als Barthel ihn und Findig aus der Abtei geschmuggelt hatte, hatte er sein Leben für die beiden gewagt. Wenn jemand sah, dass er sich hier mit den Eiben unterhielt, von denen einer gestern noch ein Gefangener des Vogts gewesen war, konnte das für Barthel sehr unangenehme Folgen haben.
Findig legte den Kopf nach hinten und sah den Barschalk offen an. »Wir benötigen noch einmal deine Hilfe.«
»Was ... soll ich tun?«, fragte Barthel ohne jede Begeisterung.
»Nur ein paar Fragen beantworten. Was hat sich seit letzter Nacht im Kloster ereignet?«
»Oh, so einiges«, seufzte Barthel.
»Ein bisschen genauer hätten wirs schon gern«, meinte Findig. »Was geschah mit den Eindringlingen, denen Wenrichs Männer aufgelauert haben?«
»Von denen haben nur wenige überlebt.«
»Ist ihr Anführer darunter, ein gewisser Waldo? So ein hagerer Kerl, hat ein Gesicht wie dein Klepper und Zähne wie ein Wolf.«
»Ich habe die Gefangenen nicht gesehen. Aber ich habe gehört, dass Wenrich ihnen gehörig zugesetzt hat. Zumindest einer muss geredet und das Lager seiner Leute verraten haben. Noch vor dem Morgengrauen ist Volko mit einem Reitertrupp losgeprescht. Sie fanden aber nur einen Mann vor, einen Einäugigen, der wie der Teufel gekämpft hat.«
»Muskeln ersetzen bei Ivo das Gehirn«, brummte Findig.
Barthel war erstaunt. »Du kennst das Einauge?«
»Flüchtig. Was geschah mit ihm?«
»Was mit seinem Leib geschah, weiß ich nicht. Den Kopf brachte Volko in die Abtei. Ein paar Mönche beschimpften den Hauptmann für dieses unchristliche Verhalten, aber Wenrich nahm ihn in Schutz. Er sagte, die Mörder von Graf Guntram und Nonus Graman hätten nichts anderes verdient.«
»Wenrich hat in ihnen die Mörder erkannt?«, fragte Findig. »Wie das?«
»Na, sie hatten doch die wertvollen Schachfiguren bei sich, die Abt Manegold bei dem Uberfall vor ein paar Nächten geraubt worden sind.«
»Hat der Abt das gesagt?«, wunderte sich Albin.
»Aber ja doch.«
Die beiden Nebelkinder wechselten bedeutungsvolle Blicke, und Albin sagte lautlos zu seinem Gefährten: Da stimmt etwas nicht! Die Figuren müssen Manegold schon viel länger fehlen. Aber wieso lügt er? Was hat er davon, die Schuld den Mischlern in die
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