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Die Nebelkinder

Die Nebelkinder

Titel: Die Nebelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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bei lebendigem Leib begraben. Vielleicht hätte er seine Fesseln mit Hilfe der Werkzeuge durch trennen können, wäre er nur an sie herangekommen. Aber er war mit dem Rücken an einen schweren Steinblock gebunden, der es ihm unmöglich machte, sich von der Stelle zu bewegen. Er konnte sich noch nicht einmal hinlegen, um etwas auszuruhen. Manchmal dämmerte er im Sitzen vor sich hin, aber ein richtig tiefer Schlaf war es nicht. Dafür war Albin auch viel zu aufgeregt, zu besorgt. Länger als vierundzwanzig Stunden hockte er schon hier. Längst hatte die Glocke zur Komplet, dem Nachtgebet, gerufen. Bald musste die Frist verstrichen sein, die Waldo ihm gesetzt hatte, und Findigs Leben war verwirkt.
    Während Albin vergeblich versuchte, durch reibende Bewegungen seiner Arme die dicken Fesseln an den Kanten des Steinblocks zu zerfasern, dachte er über den zweifachen Tod nach, der die Abtei heimgesucht hatte. Wenrich hatte Unrecht: Nicht bloß die Elben hatten Grund, Graf Guntram zu töten. Der Vogt selbst hatte den ostfränkischen Gesandten dafür gehasst, dass Guntram Wenrichs Hunde hatte töten lassen. Und er hatte auch Grund gehabt, Graman zu hassen. Der Mönch hatte in der Nacht vor Albins Flucht aus der Abtei verhindert, dass Wenrich seinen Hass auf den Findling mit weiteren Quälereien austobte.
    Glockengeläut ließ Albin zusammenfahren. Die Zeit der Mette war gekommen und das bedeutete zugleich, dass Mitternacht drei Stunden zurücklag.
    Er hatte Waldos Bedingung nicht erfüllt. Ein seltsamer Laut, einem Aufstöhnen ähnlich, verstörte Albin. War der Wachtposten draußen vor der Tür eingeschlafen und hatte einen schlechten Traum gehabt?
    Die Tür wurde entriegelt und ein Stück aufgezogen. Kein Soldat trat ein, sondern der Nordmann. Er kniete sich neben Albin und begann dessen Fesseln aufzuschneiden.
    »Endlich kann ich dir vergelten, was du für meinen Bruder getan hast«, flüsterte er. »Und für meine Herrin.«
    »Was ich für Gerswind tat, geschah nicht dir zu Gefallen, sondern...«
    »Weil du sie liebst, ich weiß.«
    »Das weißt du?«
    »Wer weiß es nicht?«, brummte Arne, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.
    »Gerswind.«
    »Sie ahnt es zumindest und empfindet für dich nicht weniger als du für sie.«
    »Was sagst du? Willst du mich verhöhnen?«
    »Du magst mich für einen rauen Kriegsmann halten, für einen ungeschlachten, geisüosen Riesen aus dem kalten Norden. Aber ich bin nicht so dumm, menschliche Gefühle nicht zu erkennen. Als Gerswind mich bat, dir zu helfen, lag in ihren Worten und in ihren Augen nicht nur die Sorge um den Retter. Da war mehr, und es ist gut so. Der Kummer um den Tod ihres Vaters würde sie sonst auffressen.«
    Was der Nordmann über Gerswinds Gefühle für Albin sagte, überschwemmte ihn mit einer Woge des Glücks. Doch das hielt nicht lange an. Seine Situation ließ ihm keine Zeit zur Freude. Und eine bestimmte
    Frage drängte sich in den Vordergrund: »Was denkst du, Arne, wer den Grafen und Graman getötet hat?«
    »Alles deutet auf solche von deiner Art hin, auf Kinder des Nebels. Mehr weiß ich nicht.«
    Endlich war Albin frei. Mit Arnes Hilfe stand er auf und streckte die eingeschlafenen Gliedmaßen. Sie traten nach draußen. Vor der Steinmetzhütte saß der Wachtposten zusammengesunken an der Wand.
    »Ein Schlag auf den Hinterkopf und er fiel in tiefen Schlaf«, sagte der Nordmann. »Er war ohnehin fast eingenickt, hat mich nicht gesehen und nicht gehört.« Vor ihnen lag das nachtdunkle Gräberfeld des Friedhofs. Unwillkürlich blickte Albin zu der Stelle mit den beiden frisch ausgehobenen Gräbern. Gra- mans Verlust quälte, schmerzte ihn. Albin hätte alles, auch sein Leben, dafür gegeben, hätte er den Tod des Ziehvaters ungeschehen machen können. Als die Grabsteine in Bewegung gerieten, stockte ihm der Atem. Dann erkannte er, dass es nicht die Steine und Kreuze waren, sondern Gestalten, die über den Friedhof schlichen.
    »Die Mischler!«, stieß er leise hervor, als er ihre Umrisse erkannte.
    »Du kennst sie?«, fragte der Nordmann.
    »Ja, leider.«
    Albins Worte gingen in plötzlich aufbrausendem Lärm unter, in schnellen Schritten, lauten Schreien und metallischem Waffenklirren. Von allen Seiten liefen Soldaten auf den Kirchhof, Waffen und Fackeln in den Händen. Sie mussten auf der Lauer gelegen haben. Albin begriff, dass er ein Köder gewesen war. Als Gerswind Albins Gefährten erwähnt hatte, musste in Wenrich der Plan gereift sein, diese in eine Falle

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