Die nervöse Großmacht 1871 - 1918: Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs (German Edition)
historische Bühne« getreten, als »ein neuer Schub von ›Globalisierung‹ die kapitalistisch verfassten Länder … in ein engeres Verhältnis zueinander rückte«. Und dieser Prozess habe sich in den Jahrzehnten nach 1871 noch verstärkt, zumal nachdem Deutschland in den neunziger Jahren in die Phase seiner »Weltpolitik« eingetreten sei. Zwei Ansätze sollen hier kombiniert werden: zum einen die »postcolonial studies«, die nach den Auswirkungen des Kolonialismus auf die westlichen Gesellschaften fragen; zum anderen die aktuelle Diskussion um die Globalisierung, die, wie sich zeigt, kein neues Phänomen ist, sondern bereits vor 1914 mit der stürmischen Entwicklung der Weltwirtschaft zu vielfältigen Austauschprozessen geführt hat.
In seiner Fallstudie »Die Herausforderung der Globalisierung. Wirtschaft und Politik in Deutschland 1860–1914« (Göttingen 2005) hat Cornelius Torp untersucht, inwieweit der Prozess fortschreitender weltwirtschaftlicher Verflechtung die Rahmenbedingungen und Hand lungsmöglichkeiten der Reichsleitung vor dem Ersten Weltkrieg veränderte. Dabei legt er den Akzent auf die Geschichte der deutschen Außenhandelspolitik, die tatsächlich – wie er betont – »auch heute noch ein in weiten Teilen unerforschtes Terrain« darstellt. Das Ergebnis ist freilich weniger überraschend, als man nach den hochgemut formulierten Erwartungen annehmen könnte. Denn der Autor bestätigt, dass die Ministerialbürokratie den protektionistischen Forderungen derjenigen gesellschaftlichen Gruppen weit entgegenkam, für welche die Weltmarktintegration eine Verschlechterung ihrer Einkommmenschancen bedeutete, das heißt vor allem den in schlagkräftigen Interessengruppen organisierten Agrariern. Andererseits konnte die deutsche Zoll- und Handelspolitik nicht umhin, auch den Interessen der Exportindustrien Rechnung zu tragen. Die daraus resultierenden Spannungen und Konflikte hat Torp eindrucksvoll am Beispiel der Auseinandersetzungen um den Bülow-Tarif 1902 rekonstruiert.
Auch Sebastian Conrad versucht in seiner wegweisenden Untersuchung »Globalisierung und Nation im deutschen Kaiserreich« (München 2006), die transnationale Perspektive am empirischen Material zu erproben. »Die Entwicklung der deutschen Gesellschaft muss spätestens seit den 1880er Jahren immer auch im Zeichen der Globalisierungsvorgänge betrachtet werden«, hebt er hervor. Vor allem interessiert ihn das Verhältnis von Nationalisierung und Globalisierung. Seine These, die am Topos der »Deutschen Arbeit« entfaltet wird, läuft darauf hinaus, dass die globale Vernetzung vor dem Ersten Weltkrieg nicht zur Einebnung nationaler Unterschiede führte, sondern im Gegenteil zu einer Verfestigung nationaler Abgrenzungen. Conrads Buch macht deutlich, dass es sich bei dem neuen Ansatz nicht um einen grundlegenden Paradigmenwechsel handelt, sondern um eine ergänzende Perspektive, die in der Tat manche Einseitigkeiten der bisherigen Nationsforschung korrigieren kann.
III.
Der Kaiser und das wilhelminische Deutschland
Dass Wilhelm II. einer der großen Unheilbringer der deutschen Geschichte war, darüber herrscht unter den Historikern weitgehend Einigkeit. Allerdings hat es in den letzten Jahren nicht an Versuchen gefehlt, das Bild aufzuhellen. Nicolaus Sombart etwa pries den Kaiser als genialen Ausstattungskünstler (»Wilhelm II. Sündenbock und Herr der Mitte«, Berlin 1996), der englische Publizist Giles MacDonough stilisierte ihn zu einem Ahnherrn der europäischen Gemeinschaft (»The Last Kaiser. William the Impetuous«, London 2001), und Eberhard Straub beförderte ihn gar zum Friedensfürsten und Anhänger der Demokratie (»Kaiser Wilhelm II. in der Politik seiner Zeit. Die Erfindung des Reiches aus dem Geist der Moderne«, Berlin 2008). Nimmt man den zweiten und den abschließenden dritten Band der monumentalen Wilhelm II.-Biographie von John C.G. Röhl zur Hand: »Der Aufbau der Persönlichen Monarchie 1888–1900«, »Der Weg in den Abgrund 1900–1941« (München 2001/2008), so drängt sich unabweisbar der Schluss auf: Für eine Revision gibt es nicht den geringsten Anlass. Im Gegenteil: Was Röhl in jahrelanger Forschungsarbeit an unbekanntem Material aus vielen Archiven ans Tageslicht gefördert hat, verdüstert das Bild ins Rabenschwarze.
Röhl möchte den Nachweis führen, dass die Herrschaft Wilhelms II. tatsächlich den Übergang zum neuen System einer »Persönlichen Monarchie« markierte, in dem nicht
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