Die nervöse Großmacht 1871 - 1918: Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs (German Edition)
untersucht, welche die Monarchie erschütterten und ein breites mediales Echo fanden, darunter die homosexuelle Affäre um den Kaiserfreund Philipp Fürst zu Eulenburg 1906/09 und die »Daily Telegraph«-Affäre von 1908. Es waren vor allem Zeitungen und Zeitschriften, in denen die Kritik am Kaiser zuerst und am unverhülltesten formuliert wurde. Sie hatten somit einen entscheidenden Anteil an der Legitimitätskrise des monarchischen Systems, die bereits vor 1914 einsetzte, im Kriege dann allerdings dramatische Ausmaße annahm.
Interessante Ergänzungen zur Arbeit von Kohlrausch bieten die Studien von Frank Bösch (»Öffentliche Geheimnisse. Skandale, Politik und Medien in Deutschland und Großbritannien 1890–1914«, München 2009), der die deutschen Skandale mit ähnlichen Fällen in England vergleicht, und Norman Domeier (»Der Eulenburg-Skandal. Eine politische Kulturgeschichte des Kaiserreichs«, Frankfurt a.M. 2010), der die Enthüllungen um den Kaiserfreund als »transnationales Medienereignis«, gewissermaßen als Gegenstück zur französischen Dreyfus-Affäre, in den Blick nimmt.
Einen bislang vernachlässigten Aspekt im »Persönlichen Regiment« des Kaisers rückt auch Wolfgang König in den Mittelpunkt: »Wilhelm II. und die Moderne. Der Kaiser und die technisch-industrielle Welt« (Paderborn 2007). Wie Obst und Kohlrausch stellt er die ambivalenten Züge im Bilde Wilhelms II. heraus: Einerseits war der Kaiser dem Vergangenen verhaftet, etwa in der Betonung des »Gottesgnadentums« seiner Herrschaft, andererseits aber dem Neuen gegenüber durchaus aufgeschlossen. Das galt besonders für die Welt der Technik, welcher Wilhelm ein großes Interesse entgegenbrachte. Im Einzelnen untersucht der Autor die Felder, auf denen sich der Monarch engagierte und eigene Initiativen entwickelte: den Aufbau einer hochmodernen Schlachtflotte, das Steckenpferd Wilhelms II., die Entwicklung des drahtlosen Funkverkehrs, die Konstruktion von Zeppelinen und Flugzeugen, den Ausbau der Wasserwege, insbesondere des Nord-Ostsee-Kanals und des Mittelland-Kanals, die Förderung der Technischen Hochschulen, die Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, schließlich auch die Ausstattung der Schlösser, der kaiserlichen Yachten und des Fuhrparks mit den neuesten technischen Errungenschaften. Freilich warnt König davor, die Kompetenz des Kaisers zu überschätzen. Sein technisches Wissen, mit dem er Zeitgenossen immer wieder verblüffen konnte, sei oberflächlich und sein Einfluss auf konkrete technikpolitische Entscheidungen doch eher gering gewesen.
In seinem 1908 verfassten, allerdings erst 1919 veröffentlichten Essay »Der Kaiser« merkte Walther Rathenau an: »Alle Tage ist irgendwo ein Fest, alle Stunden ist irgendwo ein feierlicher Augenblick. Er wird, wie man sagt, festgehalten: Photographisch, kinematographisch … Weltgeschichte wickelt sich von der Walze.« Damit verwies Rathenau auf ein neuartiges Phänomen der Inszenierung von Herrschaft – die Kinematographie. 1895 erfunden, entwickelte sie sich bereits vor 1914 zu einem wichtigen Segment der populären Massen- und Unterhaltungskultur. Wilhelm II. avancierte zum ersten deutschen Filmstar. In über dreihundert Streifen sieht man ihn bei Denkmalsenthüllungen, Monarchenbegegnungen, Stapelläufen und anderen öffentlichen Auftritten. Diesem bislang kaum beachteten Zusammenhang ist Dominik Petzold in einer grundlegenden Studie nachgegangen: »Der Kaiser und das Kino. Herrschaftsinszenierung, Populärkultur und Filmpropaganda im Wilhelminischen Zeitalter« (Paderborn 2012). Er zeigt, wie bewusst der Kaiser und seine höfische Entourage das neue Medium nutzten, um die monarchische Herrschaft zu popularisieren. Wilhelm II. konnte sich hier in unterschiedlichen Rollen inszenieren: als »Bürgerkönig«, »Flottenkaiser«, »Reisekaiser«, auch als Privatmann im Kreise der Familie. Das frühe Kino wurde so zu einem »zentralen Ort des monarchischen Kults«. Zugleich aber war, so der Autor, mit der medialen Dauerpräsenz die Gefahr einer Abnutzung des kaiserlichen Nimbus und einer »Entauratisierung der Monarchie« verbunden.
Dem neuen Interesse für Mediengeschichte ist auch die Arbeit von Dominik Geppert: »Pressekriege. Öffentlichkeit und Diplomatie in den deutsch-britischen Beziehungen 1886–1912« (München 2007) verpflichtet. Am Beispiel der deutsch-britischen »Zeitungskriege« in den beiden Jahrzehnten vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges untersucht er die
Weitere Kostenlose Bücher