Die netten Nachbarn
allem war es doch ein recht hübsches Erlebnis.
Morris Kalaniot hatte geendet. Abermals richtete er den Blick angstvoll zu seiner Wohnung empor.
»Gestern Nacht«, flüsterte er, »habe ich wieder von ihnen geträumt. Dass sie mich holen kämen. Und sie sind wirklich gekommen.›Er braucht dich noch einmal!‹brüllten sie schon an der Tür. Eine der Einstellungen – ich weiß nicht, ob von gestern oder vorgestern, mein Zeitgefühl funktioniert nicht mehr richtig –, jedenfalls: Eine der Aufnahmen musste wiederholt werden. Wir Filmleute nennen das Pech. Aber ich wollte nicht mehr. Ich konnte nicht mehr. Ich versteckte mich unterm Bett und schickte meine Frau hinaus. Sie sagte den beiden Gorillas, ich hätte die Anstrengungen nicht ausgehalten und wäre heute Nacht gestorben. ›Macht nichts‹, lautete die Antwort. ›Wir drehen sowieso ohne Ton. Man muss ihn nur im Hintergrund sehen. Dort binden wir ihn schon irgendwie an. Wo ist die Leiche?‹ Als ich das hörte, schwang ich mich aus dem Fenster und ließ mich an der Dachrinne auf Ihren Balkon hinunter. Retten Sie mich! Um Himmels willen, retten Sie mich! Die beiden Gorillas durchsuchen das Haus nach mir!«
Er hielt inne und lauschte in schreckensbleicher Anspannung. Aus dem Stiegenhaus hörte man schwere Schritte, die sich langsam näherten …
Morris Kalaniot hat sich übrigens niemals im Film gesehen. Seine Szene wurde herausgeschnitten.
Wohin das Hündchen will
Zwinji, ein Wechselbalg aus der mongolischen Steppe, wurde eines frostigen Morgens in meinem damals noch sehr gepflegten Garten von mir entdeckt. Es mochte etwa fünf Uhr sein, eine Zeit, zu der die meisten Menschen noch schlafen – mit Ausnahme der Politiker, die sehr früh aufstehen müssen, sonst dreht sich das Rad der Geschichte nicht weiter.
Um diese trübe Morgenstunde also hörte ich draußen vor dem Fenster ein leises, verzweifeltes Winseln. Ich zog die Vorhänge beiseite und blinzelte mit schlafverhangenen Augen hinaus. In der Mitte meines – ich wiederhole: damals sehr gepflegten – Gartens sah ich ein sehr kleines Hündchen, das mit sehr kleinen Pfötchen den Garten umgrub und mit sehr großem Appetit das umstehende Gras verzehrte. Das Hündchen war nicht nur sehr klein und sehr weiß, es war auch von sehr unbestimmbarer Rasse und völlig außerstande, seine vier Beine miteinander zu koordinieren.
Ich wollte die Vorhänge wieder zuziehen, um mich ins warme Bettchen zurückzubegeben, aber da war die beste Ehefrau von allen schon aufgewacht und fragte:
»Was ist los?«
»Ein Hündchen im Garten«, antwortete ich missmutig.
»Was macht es?«
»Es gräbt.«
»Dann lass es herein.«
Ich öffnete die Tür zum Garten. Das sehr junge Hündchen trottete in unser Schlafzimmer und pinkelte auf den roten Teppich.
An dieser Stelle möchte ich bemerken, dass ich meine Teppiche nur ungern anpinkeln lasse. Deshalb ergriff ich das kleine weiße Bündel und setzte es im Garten wieder ab. Meine stille Hoffnung war, dass Er, der die Vögel des Waldes ernährt, sich auch um die Hündchen des Gartens kümmern würde.
Er kümmerte sich nicht. Vielmehr stimmte das Hündchen ein durchdringendes Jaulen und Jammern an, was zur Folge hatte, dass aus dem Nachbarhaus Frau Kaminski im Morgenrock herbeigeeilt kam. Nun ist Frau Kaminski im Morgenrock kein besonders schöner Anblick, und was sie uns zu sagen hatte, war auch nicht besonders schön. Das änderte sich jedoch, als ihr Blick auf die Ursache des morgendlichen Lärms gefallen war.
Sofort versuchte Frau Kaminski uns zu überzeugen, dass wir die kleine Waise unbedingt adoptieren müssten. Sie wies auf die wenig bekannte Tatsache hin, dass der Hund ein treues Tier sei, und nicht nur treu, sondern auch klug und reinlich. Man könnte, wie Frau Kaminski ruhig sagte, ruhig sagen: Der Hund ist der beste Freund des Menschen, abgesehen vielleicht von der Regierung.
»Wenn das alles so ist, Frau Kaminski«, erlaubte ich mir einzuwerfen, »warum adoptieren Sie den kleinen Hund nicht selbst?«
»Bin ich meschugge?«, replizierte die Hundeliebhaberin. »Als ob ich nicht schon genug Sorgen hätte.«
So kam es, dass wir das sehr kleine, sehr junge Hündchen adoptierten. Der Familienrat beschloss nach lebhafter Debatte zwischen meiner Frau und mir, dem sehr jungen, sehr kleinen Hündchen den Namen Zwinji zu geben, wegen seiner gesprenkelten Ohren oder weil es irgendwie nach mongolischer Steppe klang oder vielleicht aus anderen Gründen, ich erinnere mich
Weitere Kostenlose Bücher