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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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auf der Welt«, sagte sie plötzlich. »Nach meinem Umzug nach Amsterdam habe ich sie nicht mehr so oft gesehen, aber unsere Beziehung hat darunter nicht gelitten.«
    »Verstehe«, entgegnete Roar, um etwas zu sagen. »Das muss schrecklich für Sie …«
    »Soviel ich weiß, sind Sie weder Pfarrer noch Psychologe«, unterbrach ihn Liss Bjerke in scharfem Ton. »Ich bin hierhergekommen, um Fragen zu beantworten, die Ihnen vielleicht helfen, die Tat aufzuklären.«
    Konzentrier dich, dachte er erneut und drehte sich zu seinem Computer um. Er nahm die Liste mit den vorbereiteten Fragen zur Hand. Das half. Es gelang ihm, sich einen Überblick über die Kontakte der beiden Schwestern in den letzten Monaten zu verschaffen. Mindestens ein Mal pro Woche hatten sie miteinander telefoniert und sich ständig SMS geschrieben. Liss Bjerke hatte ihm einige dieser Textmeldungen gezeigt. Mittlerweile hatte sie den tiefen, ruhigen Ton ihrer Stimme wiedergefunden. Roar war indes klar geworden, dass er äußerst behutsam vorgehen musste.
    Die letzte SMS der Schwester war am Nachmittag des 11. Dezember verschickt worden.
    Bin auf dem Rückweg von der Hütte. Denke immer an dich, wenn ich da draußen bin. Halte dir Mittsommer nächstes Jahr frei. Rufe dich morgen an.
    »Was bedeutet das mit Mittsommer?«, fragte Roar.
    Liss Bjerke schien einen Augenblick nachzudenken, ehe sie antwortete:
    »Sie wollte heiraten.«
    »Wen?«, entfuhr es ihm.
    »Sie wollen mir doch wohl nicht erzählen, dass Sie nicht wissen, wer ihr Lebensgefährte war?«, entgegnete Liss Bjerke ungeduldig. »Er ist doch mindestens drei Mal vernommen worden.«
    Die Gereiztheit war in ihre Stimme zurückgekehrt.
    »Also Viljam Vogt-Nielsen.« Roar nickte.
    »Es hätte nicht zu Mailin gepasst, mit einem Mann zusammenzuleben und mit einem anderen die Hochzeit zu planen«, sagte Liss Bjerke. Dieser Punkt geht zweifellos an sie, dachte Roar. An ihre Stimmungsumschwünge hatte er sich schon gewöhnt. Sie war ein wenig eigen, dachte er. Bei einer Frau mit ihrem Aussehen kein Wunder. Er begann sie über ihr Leben in Amsterdam zu befragen, doch stellte sich rasch heraus, dass sie kein Bedürfnis hatte, über sich zu reden, zumindest nicht mit ihm.
    »Kannten Sie Viljam Vogt-Nielsen von früher?«, fragte er stattdessen.
    Sie schaute ihn skeptisch, vielleicht sogar ein wenig herablassend an, als wolle sie auch diese Frage zerpflücken, aber dann antwortete sie:
    »Ich bin ihm direkt nach meiner Rückkehr zum ersten Mal begegnet. Das war vor vierzehn Tagen.«
    Bevor er nachhaken konnte, fügte sie hinzu: »Sie wollen von mir wissen, was ich von ihm halte, nicht wahr? Ob ich es für möglich halte, dass er das Mailin angetan hat?«
    »Halten Sie es für möglich?«
    »Obwohl er bei meinen Eltern war, als sie verschwand? Obwohl Mailin und er sich gut verstanden?«
    Ihr Wangen waren ein wenig errötet. Die Art, wie sie den Lebensgefährten ihrer Schwester in Schutz nimmt, dachte er. Überprüfen, ob sie sich wirklich nie zuvor begegnet sind.
    Es klopfte an der Tür, Viken streckte den Kopf herein. Als er Liss Bjerke erblickte, betrat er das Zimmer. Er war wie immer sorgfältig gekleidet, blaues Sakko und weißes Hemd. Man hätte ihn glatt für einen bekannten Schnulzensänger halten können. Für ein paar Sekunden blieb er schweigend stehen und betrachtete sie.
    »Viken, Kriminalkommissar.« Er gab der jungen Frau die Hand. »Mein aufrichtiges Beileid«, fügte er hinzu.
    »Danke.«
    Er fuhr mit ein paar wohlgesetzten Wendungen fort, die durchaus von einem Pfarrer hätten stammen können, dachte Roar, doch Viken entging den spitzen Kommentaren, mit denen sie ihn bedacht hatte. Ganz im Gegenteil, er glaubte in Liss Bjerkes Gesicht zu erkennen, dass Vikens Worte des Mitgefühls sie erreichten.
    »Es ist sehr gut, dass Sie gerade hier sind«, fuhr der Kommissar fort. »Ich habe vor ein paar Minuten die Sache mit dem Handy aufklären können.«
    Sie schaute ihn fragend an.
    »Mit Mailins Handy?«
    »Ja. Ein Experte hat sich den Handyfilm angesehen. Wir versuchen ihre Worte zu entschlüsseln.«
    »Ihre Worte sind sehr undeutlich«, entgegnete Liss mit plötzlichem Eifer. »Und ich habe es nicht übers Herz gebracht, mir den Film ein zweites Mal anzusehen.«
    »Das verstehe ich gut.« Viken schien unmittelbar den Ton getroffen zu haben, den Roar fast eine halbe Stunde lang vergeblich gesucht hatte.
    »Es ist ja auch nicht gesagt, dass Sie dann mehr verstanden hätten. Unsere Experten haben

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