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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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Doch er konnte seinem Drang nicht widerstehen und sagte:
    »Wie wir wissen, hatte Mailin Bjerke irgendwelche brisanten Informationen über Berger. Informationen, die sie offenbar während der Ausstrahlung von
Tabu
der Öffentlichkeit mitteilen wollte.«
    Alle drehten sich zu ihm um. Viken erwiderte:
    »Bevor du gekommen bist, haben wir zufällig darüber diskutiert, warum Berger sich das Leben genommen oder versehentlich eine Überdosis gespritzt haben könnte. Wir haben uns auch über die Möglichkeit unterhalten, dass er sich von etwas bedroht gefühlt haben könnte, das Mailin Bjerke über ihn wusste. Ist also nicht ausgeschlossen, dass jemand, der von seinem schlechten Ruf lebt, plötzlich kalte Füße bekommt, weil jemand eine Leiche in seinem Keller entdeckt hat. Aber wenn du in dieser Hinsicht noch einen interessanten neuen Gesichtspunkt hast, Horvath, dann brennen wir darauf, ihn zu erfahren.«
    Wenn nicht, dann halt die Schnauze, vollendete Roar in Gedanken den Satz. Er war ärgerlich und fühlte sich wie ein nasser Hund, der seine Leine verschmäht hatte. Er hatte nicht einmal vier Stunden geschlafen und wusste aus Erfahrung, dass Schlafmangel seine Urteilsfähigkeit minderte. Da aber nun alle Blicke auf ihn gerichtet waren, wollte er irgendetwas zur allgemeinen Diskussion beitragen.
    »Elias Frelsøi, also Berger, wurde von seinen Eltern nach dem Propheten Elias benannt«, begann er und wusste sofort, dass er sich zu weit vorgewagt hatte. »Der Kerl war wie besessen von Prophezeiungen und vertrat unter anderem die Meinung, dass wir Götzen anbeten sollten, zum Beispiel Baal Zebub, den Herrn der Fliegen.«
    Roar kam sich vor wie ein Skispringer, der zu früh abgesprungen war, sogleich von einer Windböe erfasst wurde und obendrein vergessen hatte, seine Bindungen zu schließen. In einem verzweifelten Versuch, mit den Beinen zuerst zu landen, brabbelte er irgendetwas vom Propheten Elias, der vierhundert falsche Propheten getötet habe, und wie diese vierhundert in Bergers Version auf die Erde zurückkämen und Elias die Augen herausreißen würden. Er streifte das Matthäus-Evangelium – oder war es Markus? –, in dem der Satz zu finden sei, dass man sich sein rechtes Auge herausreißen solle, wenn es einem Probleme bereite. Dan-Levis Argumentation hatte womöglich einen bedenkenswerten Kern gehabt, doch in Roars Nacherzählung war dieser Kern nicht mehr zu finden. Da stand er nun und wusste genau, von wem der Ring stammte, der in Bergers Auto gefunden worden war. Er hätte interessante Aufschlüsse über die mitochondrische DNA der Haarprobe und Bergers etwaigen Versuch geben können, sich der Schwester der Toten anzuvertrauen. Und schon bald würde die gesamte Mannschaft von diesen hochinteressanten Dingen erfahren, nur eben nicht von ihm. Er hatte drei Asse im Ärmel, zumindest zwei Asse und einen Buben, doch alles, was er auf den Tisch legte, war eine Kreuz-Zwei, mit der niemand etwas anzufangen wusste, am allerwenigsten er selbst.
    »Herzlichen Dank, Horvath«, unterbrach ihn Viken.
    »Fehlt nur noch, dass die Nachfahren Jesus Christi in Oslo auftauchen und von einem zwei Meter großen Auftragskiller verfolgt werden, der zudem Albino ist. Berger gar nicht mal so unähnlich.«
    Das Gelächter, das folgte, war das Beste, was Roar sich hatte erhoffen können. Es war die Art von Gelächter, die alle auf einen Schlag aus einer beklemmenden Stimmung befreit. Und Viken wirkte mehr als zufrieden, dass ihm diese Möglichkeit auf dem Silbertablett serviert worden war. Sogar Flatlands versteinerte Miene löste sich in einem Grinsen. Ein paar Minuten später, nachdem das Treffen vorüber war, klopfte der schmächtige und sehnige Kriminaltechniker Roar auf den Rücken.
    »Von nun an werde ich dich da Vinci nennen«, erklärte er und drehte sich um – vermutlich, um sein breites Grinsen zu verbergen.

35
    Montag, 12. Januar
    R oar parkte oberhalb der Kirche. Es war fast noch eine halbe Stunde Zeit, bis das Begräbnis stattfinden sollte, doch bereits jetzt herrschte vor dem Kirchenportal ein großer Andrang. Frauen, gekleidet in gedeckten Farben, Männer in verschiedensten Schattierungen zwischen Dunkelgrau und Schwarz. Er selbst hatte die Möglichkeit genutzt, sich einen neuen anthrazitfarbenen Anzug mit weißen Nadelstreifen zu kaufen. Er ging zwischen den Gräbern umher und blieb am Rande der Menschenmenge stehen.
    Ein paar Minuten später tauchte Viken auf. Er erblickte Roar, blieb stehen, fummelte an seinem

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