Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
Vom Netzwerk:
Bürste durch ihre welligen Haare. Sie blieb in einem Knoten hängen, es schmerzte am Haaransatz, als sie mit Gewalt darüber hinwegging. Das Stechen erinnerte sie daran, dass sie nicht mehr lange in diesem abwesenden Zustand bleiben konnte. Ein Teil von ihr verspürte den Drang, sich in eine dunkle Höhle zurückzuziehen und mindestens ein, zwei Tage lang durchzuschlafen. Doch ihr Puls war viel zu hart und schnell.
    Das Handy vibrierte auf der Spiegelablage. Sie warf einen Blick auf die Nummer, kannte sie nicht, legte das Handy wieder hin und fuhr fort, ihr dichtes, widerspenstiges Haar zu bürsten. Vermutlich hatte sie es von ihrer Großmutter väterlicherseits geerbt. Sie hatte es noch nie gemocht. Zako bezeichnete es als Flammenmeer, wenn er in melodramatischer Stimmung war. Und vor einer weißen Wand oder vor einem blauen Himmel leuchtete es so spektakulär, dass es zwangsläufig den Blick des Betrachters auf sich zog, der danach unweigerlich zu ihren grünen Augen wanderte, die den Eindruck erweckten, sie hätte einen leichten Silberblick. Sie streckte den Rücken, sodass ihre Brüste im Spiegel zu sehen waren. Sie waren zu klein, doch Zako wollte keine Brustvergrößerung, zumindest vorläufig nicht. Er meinte, sie passten zu ihrem mädchenhaften Typ. Wie aus einem Roman von Jane Austen, meinte er. Zako hatte nie etwas von Jane Austen gelesen. Sie übrigens auch nicht.
    Das Handy vibrierte erneut. Eine SMS von Rikke:
    Sitzen im Café Alto. Coole Musik. Zako hat nach dir gefragt.
    Zorn flammte in Liss auf. Jetzt benutzte er schon Rikke, um ihr Nachrichten zukommen zu lassen. Glaubte wohl, sie wisse immer noch nicht, dass er mit Rikke schlief. Rikke hatte sich eines Morgens vor ungefähr einer Woche verraten. Sie konnte Rikke lesen, so wie die meisten Menschen. Ihr Blick war an diesem Morgen anders gewesen. Ihr Lachen einen Ton höher als sonst. Sie ließ das Brotmesser auf den Boden fallen, als Liss fragte, was in der Nacht eigentlich vorgefallen war. Gestand sofort alles. Als wenn ein Geständnis nötig gewesen wäre. Und wenn schon, war Liss’ Kommentar gewesen, nachdem Rikke alles erzählt hatte. Rikke hatte erwartet, dass Liss ihr eine Riesenszene machen würde. Als die ausblieb, erklärte sie Liss zur besten Freundin, die sie je gehabt habe. Sie lasse es auch nicht mehr zu, fügte sie hinzu, dass Zako auf ihr herumhacke. Doch wie wollte sie das verhindern? Zako hatte seine Sache wirklich gut gemacht. Hatte Rikke so genommen, dass sie noch tagelang daran dachte und sich danach sehnte, dass er es wieder auf dieselbe Art und Weise tat. Sie gab sich Tagträumen hin und war völlig vernarrt in ihn. Zako hatte sie in der Hand, dachte Liss und registrierte ein Lächeln ihres ungeschminkten Spiegelbilds. Sie hatte es sofort kapiert, als Rikke ihm plötzlich kleine Gefälligkeiten erwies. Ihm Koks besorgte, wenn er vor einer Party nichts mehr auf Lager hatte, und ihm ein Taxi bestellte, wenn er nach Hause wollte. Sie rieb ihren knackigen Hintern an seinem Schritt, sobald sie die Gelegenheit dazu hatte. Liss lachte im Stillen über sie. Der Anblick ihrer hündischen Ergebenheit hatte etwas Befreiendes. Vermutlich weil sie wusste, dass Zako sie niemals so weit kriegen würde. Liss brauchte ihn nicht und hatte keine Angst, ihm das zu sagen, auch wenn er sich dann von seiner groben, bedrohlichen Seite zeigte. Meistens kam er damit, dass sie ihm Geld schulde. Und bezahlte er nicht auch die Wohnung, die sie sich mit Rikke teilte? Darauf erwiderte sie, dass er viel zu viel Geld von dem behalte, was sie mit den Fotojobs verdienen würde, die er ihr besorgte. Bald hatte sie genügend eigene gute Kontakte, um die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Man musste ja schließlich nicht promoviert haben, um Telefongespräche zu führen und ein paar Verträge durchzulesen. Sie schulde ihm noch Koks, brummte er. »Willst du jetzt etwa wegen ein paar tausend Euro so ein Theater machen? Kannst die Kohle auch sofort haben«, sagte Liss. »Verdammt, pass bloß auf, Liss!«, fauchte er, war aber schon in die Defensive geraten und weit auf sein eigenes Territorium zurückgedrängt worden. Eines Vormittags, es war in der kleinen Küche ihrer Wohnung, hatte er ihr beide Arme auf den Rücken gedreht und sie gegen den Kühlschrank gedrückt. Es tat weh, die blauen Flecke hatte sie noch Tage später, doch sie sah ihm fest in die Augen, ohne den Schmerz im Geringsten zu zeigen. Er hätte sie schlagen oder ihr auf andere Weise physisch zusetzen

Weitere Kostenlose Bücher