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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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eine bestimmte Stelle. »Hier im Nacken erkennt man zusammenhängende, umlaufende Bruchlinien. Ein größeres, gleichmäßig gebogenes Fragment steckt in der Hirnrinde fest und hat massive Blutungen ausgelöst. Daraus lässt sich schließen, dass die Frau höchstwahrscheinlich noch am Leben war, als ihr die Schläge zugefügt wurden. Ich werde später den Schädel öffnen. Dann werden wir vermutlich erkennen, dass die Kraft der Schläge eine schwere Gehirnerschütterung ausgelöst hat. Das Opfer hat wahrscheinlich mit der rechten Schläfe auf dem Boden gelegen. Hier sieht man, wie die Schädeldecke aufgeschabt ist.«
    »Deshalb glauben Sie also, dass eine Waffe mit einem Griff benutzt wurde.« Viken senkte den Kopf ein wenig. Jennifer hatte bemerkt, dass er dies immer tat, wenn er seine Schlussfolgerungen zog. »Und die dritte mögliche Todesursache?«
    Sie trat zwei Schritte zur Seite.
    »Es finden sich zahlreiche punktförmige Blutungen der Magen-Darm-Schleimhaut.« Sie zeigte mit dem Skalpell auf den geöffneten Bauch. »Entsprechende Stellen sehen Sie hier.« Sie ließ das Skalpell zur Brusthöhle wandern und kratzte an einer Haut, die die Lunge umgab. »Das Blut ist ungewöhnlich hell, was wir bei Todesfällen durch Hypothermie kennen. Die Frage ist, ob sie ihren Verletzungen erlag oder schon vorher erfroren ist. In der Fabrikhalle herrschte sicherlich strenger Frost.«
    Sie richtete sich auf und blickte Viken in die Augen.
    »Ansonsten hat sie zwei Einstiche im Hals, die von einer Spritze stammen müssen. Sie hatte Heroin im Blut, das aber nicht intravenös verabreicht wurde. Weitere Einstiche durch eine Spritze finden sich nicht.«
    »Also wurde sie durch das Heroin gefügig gemacht oder betäubt«, schloss Viken.
    Jennifer hob eine Hand der Toten an.
    »Hier sind oberflächliche Striemen zu erkennen, die darauf hindeuten könnten, dass sie Handschellen trug, bevor sie getötet wurde.« Sie zeigte auf eine sichelförmige Linie an beiden Handgelenken. »Beachten Sie auch die Spitzen des rechten Daumens und Zeigefingers.«
    »Öl?«, fragte Horvath.
    »Nein, Ruß. Doch wurde in ihrer Nähe nichts entdeckt, was verschmort oder verbrannt war.« Sie ließ die Hand der Toten wieder sinken. »Und dann ist da die Sache mit den Augen, wie Sie dem Bericht entnehmen konnten.«
    Sie zog beide Augenlider der Toten nach oben. Die entblößten Augäpfel waren durch das geronnene Blut, das sich darin gesammelt hatte, fast schwarz geworden. Viken beugte sich nach vorne. Sie reichte ihm eine Lupe und eine Pupillenleuchte. Während er die durchstochenen Augen studierte, blickte sie verstohlen zu Roar Horvath hinüber. Er machte ein dem Anlass angemessenes ernstes Gesicht, und sie war froh darüber, dass er nicht so kindisch war, bei dieser Gelegenheit mit ihr zu flirten. In dem grünen Kittel und mit dem Papierkopfschutz über beiden Ohren bot er auch keinen sonderlich attraktiven Anblick. Das Gesicht wurde dadurch runder, und seine Nase trat deutlicher hervor. Doch er hatte dieses Grübchen am Kinn, das, ehe er sich den Mundschutz überzog, im grellen Licht der Deckenlampe noch markanter gewirkt hatte. Bei der Weihnachtsfeier war er unglaublich amüsant gewesen und hatte sie ständig zum Lachen gebracht. Darüber hinaus war sie schon mit weitaus schlimmeren Typen im Bett gelandet. Für einen Adonis hatte sie ihn auch an jenem Abend nicht gehalten. Schließlich war sie die ganze Zeit über stocknüchtern gewesen, woran sie sich mit Stolz und Scham zugleich erinnerte. Darum hatte sie auch angeboten, ihn nach Hause zu fahren, schließlich wohnten sie in derselben Richtung. Zumindest war die Richtung nicht vollkommen entgegengesetzt gewesen, wie sich herausstellte. Konzentrier dich, Jennifer!, ermahnte sie sich erneut. Jetzt bist du bei der Arbeit.
    »Ich fasse noch mal zusammen: Es ist anzunehmen, dass Mailin Bjerke an so umfassenden Gehirnverletzungen starb, dass das verlängerte Mark abgeklemmt wurde, was dazu führte, dass Atmung und Blutzirkulation zum Erliegen kamen. Außerdem ist sie mehrmals stranguliert worden, wenngleich vieles darauf hindeutet, dass dies nicht unmittelbar zum Tode führte. Wie Sie wissen, kann es bei dieser Art des Erwürgens bis zu fünf Minuten dauern, bis der Tod eintritt. Zum Todeszeitpunkt muss sie bereits stark unterkühlt gewesen sein, doch vermutlich ist sie auch nicht unmittelbar an Unterkühlung gestorben. Und die Heroinkonzentration in ihrem Blut war so gering, dass die Wirkung schon mehrere

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