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Die neue arabische Welt

Die neue arabische Welt

Titel: Die neue arabische Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Großbongardt
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in der Heimat. Sein Versuch, in Frankreich das Rad der Geschichte im Sinne des Absolutismus zurückzudrehen,
scheiterte kläglich, die Julirevolution stand kurz bevor. Allein ein militärisches Abenteuer in der Ferne könne ihm womöglich helfen, so das Kalkül, den Patriotismus der Franzosen anzuheizen und die politische Stimmung noch einmal zugunsten des Königs zu wenden.
    Als Vorwand, die südliche Mittelmeerküste anzugreifen, diente aber nicht nur die Fliegenwedel-Affäre. Auch die Eindämmung der Seeräuberei lieferte einen Grund: Schon seit Jahrhunderten hatten muslimische Korsaren Jagd auf europäische Handelsschiffe gemacht, die Bewohner küstennaher Siedlungen entführt und als Sklaven nach Nordafrika verschifft. Die sogenannten Barbaren- oder Piratenstaaten, zu denen auch Algier zählte, lebten seit dem 16. Jahrhundert in kriegerischer Feindschaft zu ihren nördlichen Nachbarn – die ihrerseits stets versucht hatten, an der nordafrikanischen Küste Fuß zu fassen. Rein formell war es der osmanische Sultan, der die meisten Barbarenstaaten regierte. Die Korsarenführer hatten sich unter seinen Schutz gestellt. Tatsächlich aber genossen die Vasallen weitgehende Autonomie, und im Hinterland der Stämme war von einem Staatswesen ohnehin kaum zu sprechen.
    Hussein Pascha konnte sich auf Hilfe aus Konstantinopel allerdings nicht mehr verlassen. Der Dey hatte den Sultan verärgert, weil er ihm Hilfstruppen für den gerade verlorenen russisch-türkischen Krieg verweigert hatte. Und so landeten am 17. Juni 1830 in der Bucht von Sidi Ferruch, westlich von Algier, rund 37 000 französische Soldaten, denen die Truppen des Deys nichts entgegenzusetzen hatten. Hussein kapitulierte am 5. Juli – das Ende der Osmanenherrschaft war besiegelt.
    Für die arabischen und berberischen Bewohner Algeriens brachte die Invasion der »Frandsch«, der Franzosen, ein
Novum. Sie kannten Krieg und Streitereien zwischen muslimischen Fürsten und Stammesführern zur Genüge. Doch sie hatten keine Vorstellung, was von ihren neuen, christlichen Herren zu erwarten war. Wohl kaum einer ahnte, dass es der Großmacht aus Europa um viel mehr gehen könnte als die Bezwingung eines Gegners.
    Nach der Eroberung von Algier brachten die Franzosen nicht nur andere wichtige Hafenstädte wie Oran und Bône unter ihre Kontrolle. Unaufhaltsam rückten die Soldaten auch ins Landesinnere vor – begleitet von Beamten, Siedlern, Kaufleuten und Forschern. Ein Plan nahm Gestalt an: Es ging nicht allein um die militärische Absicherung der besetzten Gebiete, sondern auch um den Schutz des Handels und der Lebensmittelversorgung, um weitere Landnahme und um die Aussicht auf beträchtliche Gewinne.
    Die algerische Journalistin Salima Mellah glaubt, dass die Franzosen von Anfang an mit dem Gedanken gespielt hatten, dieses riesige und so gut wie menschenleere, unbebaute Land mit europäischen Siedlern zu erschließen – ganz nach dem Vorbild der frühen Einwanderer in Amerika. Frankreich war trotz politischer Turbulenzen immerhin eine Wirtschaftsmacht, die auf Expansion drängte.
    Zunächst aber galt es einen widerspenstigen und äußerst listigen Feind zu besiegen: den jungen Araberführer Abd al-Kadir. Er war gerade 24 Jahre alt, als ihn die Stämme Westalgeriens 1832 zu ihrem Emir, zum Führer im Kampf gegen die Franzosen, ernannten. Abd al-Kadir, Sohn eines einflussreichen Sufi-Scheiches, rief die Muslime zum »heiligen Krieg« gegen die Besatzer auf.
    Dass er den mächtigen »Frandsch« tatsächlich über 15 Jahre lang die Stirn bieten konnte, ließ Abd al-Kadir schon zu Lebzeiten zur Legende werden. Mit einer überschaubaren, aber schlagkräftigen Armee von 8000 Infanteristen,
2000 Reitern und 240 Artilleristen konnte er den Franzosen jederzeit – im Stile klassischer Guerillataktik – empfindliche Hiebe versetzen. Überstieg die Zahl feindlicher Truppen die seiner eigenen, zogen sich Abd al-Kadirs Männer in die Wüste zurück.
    Zweimal zwang Abd al-Kadir die Franzosen in einen Friedensvertrag zu seinen Bedingungen, über Jahre beherrschte er selbst einen unabhängigen Staat im Landesinneren. Er galt als entschlossen, mutig und gerecht, europäische Intellektuelle sahen in ihm den »noblen Araber«. Der französische Schriftsteller Victor Hugo romantisierte ihn gar als »schönen Soldaten und schönen Priester«. Doch im Dezember 1847 kapitulierte er, nachdem die Franzosen einen brutalen Vernichtungskrieg gegen seine Anhänger geführt hatten und ihm

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