Die neue arabische Welt
Mutterlandes, doch strömten die europäischen »Colons« jetzt auch hierher und eigneten sich ganze Landstriche an.
Europas Herrschaft in Nordafrika und Arabien
Und schließlich Marokko, das letzte Stück vom Kuchen Nordafrikas, das sich jahrhundertelang als unabhängiges Sultanat behaupten konnte: Mit dem Vertrag von Fès vom 30.März 1912 unterstellte es sich der Schutzherrschaft Frankreichs. Nun war der gesamte Maghreb, mit Ausnahme einiger spanischer Enklaven, Teil des französischen Kolonialreiches.
Dem vorkolonialen Elend der Araber, so jubelte der Historiker Augustin Bernard, sei damit endlich ein Ende gesetzt: »Wir haben uns bemüht, ihre physischen, intellektuellen und ökonomischen Bedingungen zu verbessern.« Die Eingeborenen könnten sich rückblickend versöhnen mit dem Gedanken an eine Eroberung, »die für sie wohltuend war«.
Doch die Dankbarkeit der Eingeborenen hielt sich in Grenzen. Insbesondere die Algerier, die anders als ihre Nachbarn zwar »Fleisch vom Fleische Frankreichs« und dennoch »Nichtfranzosen« waren, nahmen zähneknirschend wahr, wie der Kolonialstaat ein diskriminierendes Zweiklassensystem in ihrem Land verfestigte. Wie kein anderer spürte der Schriftsteller Albert Camus, dessen Familie schon seit Generationen an der algerischen Küste ansässig war, welche Stimmung sich unter seinen muslimischen wie europäischen Nachbarn zusammenbraute, auf welches Blutbad man zusteuerte.
Zwar hatte sich in den Städten eine dünne Schicht profranzösischer und gutbürgerlicher Algerier, die sogenannten Evolués (»Entwickelte«), herausgebildet. Das Gros der arabischen Bevölkerung aber wartete nur auf eine Gelegenheit, sich von Frankreich loszusagen. Ihre Sympathien gehörten den islamisch orientierten Reform- und Befreiungsbewegungen des Scheichs Abd al-Hamid Bin Badis und des Arbeiterführers Messali Hadsch.
Vor allem Messali Hadsch hauchte dem algerischen Nationalismus, den es vor dem 20. Jahrhundert so nicht gegeben hatte, Leben ein. Messali hatte in Paris eine illegale Arbeitervereinigung gegründet, er wollte ein unabhängiges Algerien und eine islamisch-sozialistische Gesellschaft – eine Synthese, die später auch von der »Nationalen Befreiungsfront« FLN aufgegriffen wurde.
Im September 1947 bekamen auch die Araber und Berber die französische Staatsbürgerschaft zuerkannt, doch damit gaben sich die Befreiungskämpfer nicht mehr zufrieden. Am 1. November 1954 ließ die FLN an 30 Orten Bomben detonieren, zeitgleich griffen ihre Anhänger im ganzen Land Posten der französischen Armee und Polizei an. Es war der Beginn des Algerienkriegs, in dessen Verlauf über 17 000 französische Soldaten, geschätzte 140 000 Kämpfer der FLN sowie zwischen einer halben und 1,5 Million überwiegend algerische Zivilisten ihr Leben ließen.
Einer der blutigsten Befreiungskriege des 20. Jahrhunderts endete am 18. März 1962 mit dem Friedensvertrag von Evian. Er bedeutete eine historische Zäsur für Frankreich, wo gleich mehrere Regierungen stürzten und die Vierte Republik unterging. Für den einstigen »Barbarenstaat« Algerien aber bedeutete er – 135 Jahre nachdem ein wütender Türke einen arroganten Franzosen mit dem Fliegenwedel schlug – die Unabhängigkeit. Ruhe aber sollte das riesige Land zwischen Mittelmeer und Sahara noch lange nicht finden.
Schifffahrt durch die Wüste
Gegen viele Widerstände wurde das größte
Bauvorhaben des 19. Jahrhunderts durchgesetzt:
der Suezkanal. Er verkürzt den Seeweg zwischen
Europa und Asien dramatisch.
Von Joachim Mohr
An einem Tag Anfang September 1854 nimmt Ferdinand de Lesseps auf seinem Landgut in der Nähe von Paris wie jeden Tag vom Postboten einen Stapel Zeitungen entgegen. Eine Meldung fesselt ihn sofort: Der ägyptische Herrscher Abbas I. wurde am 16. Juli in seinem Palast in Banha am Nil ermordet. Lesseps ist über die Nachricht hocherfreut. Augenblicklich soll sich der ehemalige französische Diplomat an seinen Schreibtisch gesetzt haben. Begeistert gratuliert er in einem Brief dem neuen Herrscher Ägyptens, Mohammed Said. Endlich sieht Lesseps die Chance vor sich, den Traum seines Lebens zu verwirklichen: den Bau des Suezkanals.
Der 1805 geborene Adlige war in den dreißiger Jahren französischer Konsul in Kairo und anschließend Generalkonsul in Alexandria gewesen. In dieser Zeit hatte er eine freundschaftliche Beziehung zu einem Sohn des damaligen Herrschers Mohammed Ali Pascha aufgebaut: dem neuen ägyptischen
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