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Die neue arabische Welt

Die neue arabische Welt

Titel: Die neue arabische Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Großbongardt
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der Sultan von Marokko Asyl verwehrte. Triumphal feierte Paris den Sieg gegen seinen berühmten Feind. Abd al-Kadir wurde eingekerkert, 1852 aber von Louis Napoleon begnadigt.
    Einen gleichermaßen charismatischen Führer sollten die Algerier nicht mehr finden. Der Widerstand war gebrochen, und der hemmungslosen Besiedelungspolitik Frankreichs stand nichts mehr im Wege. Den überwiegend französischen, aber auch italienischen, spanischen und maltesischen Immigranten (»Colons«) stellte man weite Ländereien zur Verfügung, die zumeist von Arabern und Berbern konfisziert waren. Aus heimischen Kleinbauern waren Pächter oder landlose Bauern geworden, die sich auf den Äckern der Europäer verdingen durften. Zahllose Algerier wurden in die Wüste vertrieben.
    An die 110 000 Colons lebten im Jahre 1847 auf algerischem Boden, rund eine Million sollten es vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs sein. Schritt für Schritt wurde das Land in das französische Verwaltungsgebiet eingebunden,
einheimische Notabeln durch Kolonialbeamte ersetzt. Algerien, so sah es die republikanische Verfassung von 1848 vor, wurde zu einer »partie intégrante du territoire français«, zu einem dauerhaften Bestandteil Frankreichs.
    Doch wer war gleichberechtigter Staatsbürger? Sicher nicht die muslimische Bevölkerungsmehrheit. Sie blieben einfache Untertanen, ohne französisches Bürgerrecht. Für sie dachte sich die koloniale Administration 1875 einen besonderen Rechtsstatus aus: den »code de l’indigénat« (Eingeborenenrecht). Wer ihm unterstand, musste oft schon bei geringsten Vergehen mit seiner Internierung in Arbeitslagern rechnen, nicht selten wurden auch Kollektivstrafen gegen ganze Dörfer verhängt.
    Mitleid mit den Eingeborenen, die sich vereinzelt zu neuen Aufständen formierten, verstanden vor allem die Militärs als Schwäche. Ein Kommandeur der französischen Kolonialtruppen drückte es so aus: »Hört, mein tapferer Freund, wie man Krieg gegen Araber führen muss. Alle Männer über 15 Jahre töten, alle Frauen und Kinder auf Schiffe verladen und sie nach den Marquesas-Inseln oder einen anderen Ort verfrachten; mit einem Wort, all das vernichten, was nicht zu Füßen kriecht wie Hunde.«
    Während die Generäle Widerstandsnester aushoben, kümmerten sich Forscher und Missionare um die wissenschaftliche Erfassung und das Seelenheil der Eingeborenen, nicht selten mit fragwürdigen Ergebnissen. »Intellektuell ist der Muslim ein Gelähmter«, heißt es etwa in einer Abhandlung des französischen Gelehrten André Servier, der Anfang des 20. Jahrhunderts in Algerien lebte, »sein Hirn, das im Laufe der Jahrhunderte der rauen Disziplin des Islam unterworfen war, ist allem, was nicht vom religiösen Gesetz vorgesehen, verkündet und spezifiziert wurde, verschlossen. Der Muslim, der seiner Religion treu geblieben
ist, ist nicht fortschrittlich. Er ist ein Widerspenstiger vor jeder Zivilisation.«
    Dass daraus die konsequente Unterordnung unter die westliche Lebensweise folgen müsste oder, besser noch: die Konversion zum christlichen Glauben, verstand sich von selbst. Missionare, die sich eingehend mit den Bräuchen der Muslime beschäftigten, Arabisch und Berbersprachen lernten, hatten die Aufgabe, Algeriens Eroberung auch religiös zu legitimieren. Schon Marschall Thomas Robert Bugeaud, der den Feldzug in den 1840er Jahren anführte, hatte in ihnen nützliche Helfer gesehen, um »das Herz der Araber für uns zu gewinnen, die wir mit der Gewalt der Waffen unterworfen haben«. Indes: Wie groß konnte der Wille der Kolonialmacht sein, aus muslimischen Algeriern tatsächlich »echte« Franzosen zu machen, wenn Frankreich damit seine natürliche Kontrolle über die Eingeborenen verlöre? Dass sich die Kolonialherrschaft als »System« zuallererst die wirtschaftliche Ausbeutung eines Volkes drehte, wie es der französische Philosoph Jean-Paul Sartre Jahrzehnte später formulieren würde, ließ sich mit dem Humanismus der Missionare kaum vereinbaren.
    Am Ende des 19. Jahrhunderts, auf dem Höhepunkt des europäischen Imperialismus, stellte in Frankreich kaum einer die koloniale Ideologie in Frage. Die Grande Nation hatte sich 1881 Algeriens Nachbarland Tunesien einverleibt – gerade noch rechtzeitig, weil auch Italien ein Auge auf das kleine Mittelmeerland geworfen hatte – und war bereits tief ins Innere des Schwarzen Kontinents vorgedrungen. Tunesien behielt als Protektorat gewisse Freiheiten, es wurde kein Teil des französischen

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