Die neue arabische Welt
Generation Facebook ist die treibende Kraft des Aufstandes?
ASWANI: Die Revolution wurde von allen getragen: von Reich und Arm, von Städtern und Bauern, Frauen, Kindern, Muslimen und Christen. Die sozialen Klassen spielten keine Rolle mehr. Die Blogger haben die Revolution angestoßen, aber es ist nicht ihre Revolution. Ein altes Klischee sagt, Ägypter seien nicht fähig zu Teamwork. Während des Aufstandes auf dem Tahrir-Platz habe ich eine unglaubliche Kooperation gesehen, da gab es Selbsthilfe-Komitees für die Sicherheit, für Essen, für Erste Hilfe, alles war organisiert.
SPIEGEL: Sie waren selbst auf dem Tahrir-Platz dabei?
ASWANI: Ja, ich habe dort 18 Tage lang campiert. Jeden Tag gab ich eine Pressekonferenz, um nach draußen zu vermitteln, was passiert. Dabei habe ich mal eine leere Zigarettenpackung auf den Boden geworfen. Da kam eine ältere Frau und erklärte, sie liebe meine Bücher, aber ich solle doch bitte schön die Schachtel aufheben und in den Mülleimer werfen. Ich tat wie geheißen, ich fühlte mich wie ein schuldiges Kind. »Wir bauen ein neues Ägypten, und das soll sauber sein«, sagte sie mir. Sie hatte absolut das Recht, mich zu kritisieren.
SPIEGEL: Der noch von Husni Mubarak eingesetzte Premierminister Ahmed Schafik, mit dem Sie Anfang März in einer TV-Debatte auftraten, empfand Ihre Kritik dort als Zumutung.
ASWANI: Ich erklärte ihm, dass es ein neues politisches Denken gibt und der Premier nicht mehr der Herr der Ägypter ist, sondern ein öffentlicher Diener. Da verlor er seine Beherrschung: »Was bilden Sie sich ein, wer sind Sie überhaupt, dass Sie glauben, Sie könnten mir die Meinung sagen?« Ich sagte ihm: »Ich bin ein ägyptischer Bürger, und von nun an hat jeder ägyptische Bürger das Recht, Sie zu kritisieren.«
SPIEGEL: Er trat am nächsten Tag zurück.
ASWANI: (lächelt) Ja, das ging schnell.
SPIEGEL: Wie waren die Reaktionen nach der Talkshow?
ASWANI: 80 Prozent positiv, aber es gibt natürlich auch Überbleibsel des alten Regimes, die schickten schreckliche Drohbriefe an mich und meine Familie, terrorisierten uns am Telefon. Gerade wurde ein Mordplan aufgedeckt gegen Protagonisten der Revolution, da stand ich auf Platz zwei. Aber ich lasse mich nicht einschüchtern.
SPIEGEL: Seit Jahren kritisieren Sie in Ihren Büchern und Artikeln Menschenrechtsverletzungen, Korruption, Misswirtschaft unter Mubarak. Hatten Sie nie Probleme mit der Zensur?
ASWANI: Nach manchen Artikeln riefen Sicherheitsagenten bei der Zeitung an und bedrohten den Eigentümer. Einmal hatte ich, sinnbildlich für Mubaraks Sohn Gamal, über einen kleinen Elefanten geschrieben, der von seinem Vater für Größeres vorbereitet werden soll, doch der kleine Elefant ist zu dumm, er will immer nur mit Wasser spielen.
Alaa Al-Aswani
»Sprechzeiten von 12 bis 15 Uhr und 18 bis 21 Uhr« steht an seiner Praxis, doch als Zahnarzt ist der gebürtige Kairoer nur noch zweimal pro Woche im Einsatz. Aswani, 54, der auch in den USA studierte, ist einer der erfolgreichsten arabischen Gegenwartsautoren. In seinem Roman »Der Jakubijân-Bau«, der die Geschichte eines prächtigen Kairoer Hauses als Mikrokosmos der ägyptischen Gesellschaft inszeniert, prangerte er schonungslos die Missstände des Mubarak-Regimes an. Seit 2004 engagiert er sich in der Oppositionsbewegung »Kifaja« – »Genug!«.
SPIEGEL: Für die Leser war klar, dass damit nur Gamal gemeint sein konnte?
ASWANI: Natürlich. Es hatte dann etwas Komisches, als ein Polizeioffizier anrief und den Zeitungschef anblaffte, der Artikel sei inakzeptabel. Ich schlug dem Herausgeber vor zu entgegnen, dass es doch befremdlich sei, wenn ein Offizier wegen eines kleinen Elefanten anruft.
SPIEGEL: Kürzlich schrieben Sie wieder über den Elefanten – und einen Löwen, damit war die Armee gemeint. Das Stück ist sehr kritisch gegenüber der Armee. Warum wählten Sie wieder eine Fabel, können Sie jetzt nicht ganz offen schreiben?
ASWANI: Ich fand es so provokativer. Aber die Kritik stammt aus der Phase, als die Armee sehr zögerlich wirkte und es nicht klar war, ob sie gegen Mubarak wirklich vorgehen wird. Zunächst wurden ja nur seine Freunde und die Freunde seiner Söhne verhaftet. Das hat uns misstrauisch gemacht.
SPIEGEL: Aber nun sind sie alle in Haft, Mubarak und seine Söhne.
ASWANI: Das ist die Wende, jetzt bewegt sich das Schiff in die richtige Richtung. Damit ist die größte Hürde überwunden. Für mich gibt es jetzt keine Zweifel mehr
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