Die neue arabische Welt
daran, dass die Armee es ernst meint mit dem politischen Wandel. SPIEGEL: Menschenrechtler werfen der Armee vor, sie habe festgenommene Demonstranten gefoltert.
ASWANI: Das Militär macht auch Fehler. In drei oder vier Fällen haben sie Leute misshandelt, ich habe die Berichte gesehen. Es heißt, gegen die Verantwortlichen werde ermittelt. Aber wir müssen fair bleiben: Diese Revolution wurde von der Armee beschützt. Ohne sie hätte alles ganz anders ausgehen können.
SPIEGEL: War diese Haltung von Anfang an klar?
ASWANI: Zunächst wurden wir auf dem Tahrir-Platz von Gerüchten verunsichert, Soldaten würden bald das Feuer eröffnen. Da sprach ich einen Offizier an, und der sagte: Das wird niemals passieren. Tatsächlich hatte die ägyptische Armee in ihrer ganzen Geschichte nie die Linie, Demonstranten zu töten, wie wir das jetzt in Syrien und Libyen sehen. 1977 bei den Brotunruhen rief Präsident Anwar al-Sadat das Militär zu Hilfe. Es stellte zwei Bedingungen: erstens, auf die Forderungen der Demonstranten einzugehen, und zweitens, auf keinen einzigen Ägypter zu schießen.
SPIEGEL: Sie haben einmal gesagt: »Seit 20 Jahren schreibe ich für die Demokratie.« Wie zuversichtlich sind Sie, dass sie jetzt wirklich kommt?
ASWANI: Sie ist schon da. Wir fangen ja auch nicht bei null an. Ägypten hatte in den zwanziger Jahren schon ein Parlament, eine gewählte Regierung, die erste moderne arabische Universität, die erste Frau, die studierte.
SPIEGEL: Aber die Umstellung jetzt wird Zeit brauchen.
ASWANI: Ja sicher, Demokratie ist kein plötzliches Paradies. Viele müssen umdenken. Die ägyptische Polizei etwa hat eine sehr harte, unmenschliche Tradition. Sie hat Menschen getötet. Der Polizeioffizier stand über dem Gesetz. Nun müssen sie lernen, dass sie Polizisten in einem demokratischen Staat sind, dass jeder Mensch Rechte hat und dass man Gefangene nicht schlägt. Es gibt auch gute Polizisten, aber viele sind noch nicht in der neuen Zeit angekommen.
SPIEGEL: Zeigen sich bereits Veränderungen?
ASWANI: Ein Beispiel: Vor Kurzem wollte ein Polizist jemanden festnehmen, der eine Haftstrafe antreten sollte. Er war nicht zu Hause, so nahm der Offizier die Ehefrau mit. Das war so üblich: Als Druckmittel wurde die Ehefrau verhaftet
oder sogar gefoltert. Diesmal gingen Freunde der Frau zur Polizeistation und drohten, die Wache anzuzünden, wenn sie nicht freigelassen wird und der Offizier verhaftet. Der hatte getan, was Tausende andere vor ihm taten, doch nun akzeptiert man das nicht mehr.
SPIEGEL: War das Referendum zur künftigen Verfassung bereits ein erster richtiger Schritt zur Demokratie?
ASWANI: Die Reaktion war eindrucksvoll. Niemand hätte sich zuvor träumen lassen, dass Ägypter zwei Stunden anstehen, um ihre Stimme abzugeben. Nur zwei Monate davor wäre eine solche Volksbefragung noch als Witz angesehen worden. Aber nun glauben die Menschen, dass ihre Stimme zählt. Bloß, das Referendum selbst ist nutzlos.
SPIEGEL: Warum?
ASWANI: Wir haben in Ägypten die bedeutendsten Verfassungsrechtler der arabischen Welt. Und all diese halten das Vorgehen für falsch. Sie sagen, man muss eine Versammlung wählen, die eine neue Verfassung schreibt. Zudem brauchen wir mehr Zeit, damit sich die neuen politischen Kräfte organisieren können.
SPIEGEL: Die Revolution ist wirklich beeindruckend, aber warum haben die Menschen die Armut, die Missstände, die Unfreiheit so lange ertragen?
ASWANI: Niemand hat es wirklich akzeptiert. Aber es liegt in der Natur der Ägypter, sie beschweren sich nicht so oft. Sie versuchen, sich zu arrangieren. Wir sind ganz anders als die Franzosen, die kritisieren ständig. Die Ägypter tun das nicht, aber das heißt nicht, dass sie nicht wütend sind. Wir revoltieren dann, wenn wir das Gefühl haben, jetzt ist kein Kompromiss mehr möglich.
SPIEGEL: Bereits vor zwei Jahren schrieben Sie, es bahne sich ein Umbruch an.
ASWANI: Eine Veränderung war schon spürbar, aber ein Land muss den Punkt erreichen, an dem es absolut reif ist für die Revolution.
SPIEGEL: Im Entwicklungsindex der Uno liegt Ägypten auf Platz 101 noch hinter Turkmenistan, Ecuador und der Mongolei. Wie konnte die große Kulturnation so weit abrutschen?
ASWANI: In den letzten 40 Jahren gab es einen großen Stillstand, vor allem in der sterilen Zeit der Herrschaft Mubaraks, der sich damit brüstete, er habe keine Zeit, Bücher zu lesen. Sozialkritik war verpönt, die egoistische Herrschaftsclique vermittelte
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