Die neue arabische Welt
dann noch den jetzigen Artikel 2 der Verfassung, in dem es heißt, die Scharia ist die Hauptquelle der Rechtsprechung?
ASWANI: Sie ist ja nicht die einzige Quelle. Mich als Säkularen stört das nicht, solange die Verfassung gleiche Rechte garantiert. Wenn wir das jetzt anfassen, legen wir eine Bombe.
SPIEGEL: Entwickelt sich mit der Revolution eine neue arabische Identität über Ägypten hinaus?
ASWANI: Da sollten wir vorsichtig sein. Wir brauchen viele, hoffentlich 22 starke Demokratien, also alle Mitglieder der Arabischen Liga. Diese müssen dann untereinander zusammenarbeiten, so wie die Europäische Union, das ist ein gutes Vorbild. Der Weg des Panarabismus von Nasser war falsch, weil er alle Völker und Nationalitäten in eine Form pressen und verschmelzen wollte. Wir brauchen starke, aber unabhängige Demokratien.
SPIEGEL: Wer wird der neue ägyptische Präsident – der Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei oder der frühere Außenminister Amr Mussa?
ASWANI: Ich möchte dazu öffentlich noch nichts sagen, ich möchte niemanden beeinflussen.
SPIEGEL: Sie selbst wollten sich nicht bewerben? ASWANI: Für mich ist es viel wichtiger, einen guten Roman zu schreiben, als Präsident zu werden.
SPIEGEL: Herr Aswani, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Liga der Lahmen
Die Arabische Liga redet viel, aber entscheidet wenig.
Das Bündnis ist beispielhaft für die Beharrungskräfte
der Region. Doch das Revolutionsjahr 2011 bringt
frischen Wind in den verstaubten Club.
Von Erich Follath
Die Außenfassade dringend reparaturbedürftig, das Interieur plüschig und verstaubt, die Atmosphäre in den langen, hohen Gängen so muffig wie die zum Tee gereichten Kekse – so etwa hat man es erwartet im Club der Ewiggestrigen, der Arabischen Liga, die kaum je in ihrer Geschichte etwas auf die Reihe gekriegt hat. Deren Mitglieder seit nunmehr 66 Jahren vorwiegend streiten, sich nach endlosen Diskussionen vertagen und die meiste Zeit damit beschäftigt scheinen, gegeneinander zu intrigieren. Sogenannte Verbündete, die fast jede Neuerung, jede Modernisierung der arabischen Welt mit ihren gesammelten Bedenken zu verhindern wussten. Würden sie mit der Züchtung eines Rassepferds beauftragt, so sagt ihnen ein Bonmot nach, käme ein Dromedar heraus.
Aber dieser Tag Mitte März 2011 hält eine Überraschung bereit, und der Mann, der sie beim SPIEGEL-Gespräch im Hauptquartier in Kairo verkündet, ist Generalsekretär Amr Mussa, ein angegrauter Mittsiebziger. Seit einem Jahrzehnt steht der studierte Jurist schon an der Spitze der Organisation. Der allseits geachtete Diplomat ist mit ungewöhnlichen Initiativen allerdings kaum aufgefallen und wirkte in den letzten Jahren manchmal schon resigniert – als habe
er sich damit abgefunden, dass in diesem Verein nichts mehr zu bewegen sei. Jetzt aber ballt Mussa kämpferisch die Faust, lässt alle diplomatischen Floskeln beiseite, redet Klartext. Die Arabische Liga, so sagt er, hat den Mitgliedstaat Libyen suspendiert und gerade beschlossen, eine Flugverbotszone über Gaddafis Reich zu unterstützen.
»Es geht darum, dem libyschen Volk in seinem Freiheitskampf gegen ein zunehmend menschenverachtendes Regime beizustehen«, sagt der Generalsekretär in seinem Büro direkt über dem Midan al-Tahrir, dem Platz der Befreiung. »Gerade wir Ägypter wissen, wie wichtig es ist, aus eigener Kraft einen Autokraten loszuwerden. Dieses großartige Gefühl wünsche ich auch den Libyern. Die Revolutionen in den arabischen Staaten laufen nicht alle nach dem gleichen Muster ab. Aber der Wandel ist unaufhaltsam. Und unumkehrbar.«
Die ewigen Kräfte des Beharrens plötzlich auf der Seite der arabischen Revolutionäre – eine Frischzellenkur, ein spätes Erweckungserlebnis für die so oft geschmähte »Liga der Lahmen«? Könnte sich die Organisation womöglich sogar in Richtung eines Staatenverbunds wie der Europäischen Union bewegen? Fängt mit 66 Jahren vielleicht ihr Leben erst richtig an?
Von den Wüsten Nordafrikas bis zu den Sumpfgebieten des Irak, von den tropischen Wäldern des Südsudan zu den Weihrauch-Regionen des Jemen erstreckt sich das Gebiet der Liga über fünf Zeitzonen; von so magischen Orten wie Marrakesch bis Mekka, von antiken Wundern wie den Pyramiden, Palmyra und Petra bis zu den supermodernen Weltrekord-Wolkenkratzern von Dubai. Die Liga der Arabischen Staaten, wie der offizielle Name lautet, umfasst 22 Mitglieder (EU: 27) auf 14 Millionen
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