Die neue arabische Welt
Quadratkilometer Gesamtfläche (EU: 4,2 Millionen); gut 360 Millionen Menschen
leben auf ihrem Gebiet (EU: 500 Millionen) und kommen auf eine Gesamtwirtschaftsleistung von 2 Billionen Dollar (EU: 16,3 Billionen).
Unterschiede zwischen der Arabischen Liga und der Europäischen Union springen besonders bei der politischen Verflechtung der Mitgliedsländer ins Auge und ihrer Bereitschaft, nationale Kompetenzen an die Gemeinschaft abzugeben. Von den EU-Organen erlassenes Recht hat Vorrang vor nationalem Recht, ein EU-Parlament, ein Rat und eine Kommission legen – wie zähneknirschend von einzelnen Mitgliedern auch immer akzeptiert – gemeinsame Haushaltsvorschriften und politische Richtlinien fest; darüber wachen Kontrollgremien wie der Europäische Rechnungshof; die Europäische Zentralbank soll für Preisstabilität sorgen.
Wenngleich eine gemeinsame Wirtschafts- oder Außenpolitik noch weit entfernt sind, haben sich die Institutionen im Großen und Ganzen bewährt, und eine wirkliche Integration als Vereinigte Staaten von Europa ist zumindest nicht undenkbar – ganz anders als im arabischen Raum. Dabei gibt es dort, im Unterschied zu den 23 Amts- und Arbeitssprachen der EU, eine gemeinsame Lingua Franca und mit dem Islam, der über 90 Prozent der Bevölkerung in diesem Raum prägt, auch eine gemeinsame religiös-kulturelle Identität.
Was die Araber dagegen trennt, ist ein extremes Gefälle der Lebensbedingungen. Weit mehr noch als Europa, dessen Unterschiede zwischen Nord und Süd, West und Ost zumindest noch überschaubar sind, zerfällt die Arabische Liga in Habenichtse und Krösusse. Zu den 22 Mitgliedern des Clubs gehören einige der ärmsten Staaten der Welt wie Mauretanien und Dschibuti und einige der reichsten, weil mit Rohstoffen gesegnet, wie Katar oder Kuwait. Somalia
ist gar ein »gescheiterter Staat«, der in festen Grenzen nicht mehr existiert, und Palästina einer, der noch nicht existiert.
Ägypten hat mit seinen 85 Millionen Menschen mehr als hundertmal so viele Einwohner wie das gleichfalls mit einer Stimme vertretene Inselreich der Komoren. Es regieren Könige wie Bahrains Hamad Bin Issa Al Chalifa oder Jordaniens Abdullah II., Autokraten wie Syriens Baschar al-Assad oder Algeriens Abdelaziz Bouteflika. Und mit Omar al-Baschir im Sudan ein Präsident, den der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag seit März 2009 per Haftbefehl wegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit suchen lässt.
Nur eins gibt es nicht auf dem Gebiet der Arabischen Liga: einen wirklich demokratisch legitimierten, in fairen und freien Wahlen von allen Volksgruppen gewählten Präsidenten oder Premier. Erst jetzt hat, vor allem in Ägypten und Tunesien, der nötige politische Umbruch begonnen.
Eine Legitimation konnten bisher am ehesten noch die politischen Führer im Irak und im Libanon beanspruchen, allerdings werden sie wesentlich von fremden Mächten mitbestimmt. In Bagdad, wo die größte US-Botschaft der Welt steht, versuchen die Amerikaner auch noch acht Jahre nach ihrem Einmarsch den politischen Prozess hinter den Kulissen mitzugestalten; in Beirut ist derzeit keine Regierung denkbar ohne die von Iran und Syrien finanzierte Hisbollah.
»Die Araber wurden in der neueren Geschichte immer hin- und hergestoßen, sie waren ein Spielball ausländischer Mächte. Auch wenn es ausnahmsweise mal positive Entwicklungen hin zu Pluralismus und demokratischen Institutionen gab, waren die meist von außen aufgezwungen«, glaubt die einstige syrische Diplomatin Kaukab al-Rajiss.
Fremdbestimmung heißt das ewige Stichwort in der arabischen Welt, Kolonialismus ist die Erklärung und Entschuldigung, die für vieles so lang herhalten musste. An der Geschichte der Arabischen Liga kann man ablesen, dass sich das Versagen der arabischen Eliten so nicht einmal im Ansatz rechtfertigen lässt. Dass aber an der Gängelung durch Europäer wie Amerikaner trotzdem viel dran ist – was schon die Entstehung des Bündnisses zeigt.
Der Zusammenschluss der arabischen Staaten wurde noch im Zweiten Weltkrieg von den Briten »angeregt«. London wollte sie in Stellung bringen gegen die »Achsenmächte« Deutschland und dessen Verbündete. Allerdings kam es erst gegen Ende des Krieges zum formalen Beschluss. Am 22. März 1945 fanden sich in Kairo zunächst sechs Gründungsmitglieder zusammen: Ägypten, Irak, Libanon, Syrien, Saudi-Arabien und Transjordanien. Die anderen stießen später dazu, 1993 als vorläufig letztes
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