Die neue arabische Welt
sich der internationale Jetset traf.
Doch die Ruhe erwies sich bald als trügerisch. Der Strom palästinensischer Flüchtlinge nach dem Sechstagekrieg zerstörte das zerbrechliche Gefüge des multikonfessionellen Staates und schuf schwere soziale Probleme. In Beirut kämpften die palästinensischen PLO- und PFLP-Fraktionen mit den Schiiten und den christlichen Paramilitärs auf offener Straße. Meine nächsten Libanon-Besuche waren rein beruflich – als Berichterstatter im Bürgerkrieg.
Auf Balkonen wehten weiße Friedensfahnen, von Schüssen durchlöchert; aus Hauslöchern quollen Ströme von Metall, durch Raketeneinschläge geschmolzen; in Straßenschluchten erstarrten die Leichen der Kämpfer und der in die Schusslinie geratenen Zivilisten, darunter oft kleine Kinder mit zerfetzten Körpern und leeren, himmelwärts gerichteten Augen: Daran erinnere ich mich, wenn ich an das Beirut der späten siebziger Jahre denke. Und an die Angst, den richtigen, den überlebenssichernden Passierschein zu finden, wenn eine Straßensperre der rivalisierenden Gruppe auftauchte. Dann, am Abend, im Commodore-Hotel, sorgte Papagei Ali in der Bar regelmäßig für Panik unter den Gästen: Täuschend echt imitierte er das Pfeifen einer herannahenden Granate.
Trauerfeiern, so viele Trauerfeiern. Schusssichere Westen waren angeraten, aber ohne einen zusätzlichen emotionalen Schutzschild ließ sich das alles nicht ertragen. Mit einem Fotografen-Kollegen war ich zu Gast bei den Drusen des Dschumblat-Clans in den Bergen über der Stadt. Ein kühler, nebliger Tag im März 1977, Vater Kamal war ermordet worden, Sohn Walid im Begriff, die politische Führung der Religionsgemeinschaft zu übernehmen. Und so hörten wir, wie sie schon am Tag der Beerdigung die Rache planten, neue Allianzen schmiedeten. Keine Zeit zur Besinnung, hier beim großen Morden in einem der damals dunkelsten Winkel der Menschheit.
Es gab keine »Guten« und keine »Bösen«, vor allem aber keine Unschuldigen, in diesem grausamen Kampf um die Macht; auch nicht bei den Nachbarn. Die syrischen Streitkräfte spielten eine dubiose Rolle. Die israelischen Invasoren, die 1982 bis Beirut marschierten und ihren christlichen Alliierten zu Hilfe kamen, schauten zu, wie die Falange in den Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila Hunderte Palästinenser abschlachtete, die meisten von ihnen Zivilisten. Die Amerikaner, die lange Zeit im Hintergrund die Fäden zogen, gehörten im Jahr 1983 zu den Opfern der ersten Selbstmordanschläge in der Geschichte des Nahen Ostens. Bei einem Angriff auf das US-Hauptquartier starben 241 Soldaten. Die internationalen Friedenstruppen zogen ab.
Dann, nach 15 Jahren Bürgerkrieg und 150 000 Toten: die Neugeburt des Libanon. Das Friedensabkommen von Taïf hatte 1989 die Wende eingeleitet mit einem neu ausbalancierten religiösen Proporz: Im frei gewählten Parlament sollten Christen und Muslime gleich viele Sitze haben; der Präsident musste, wie schon seit dem »Nationalpakt« von 1943 noch unter französischem Mandat, stets ein Maronit, der Regierungschef immer ein Sunnit, der Abgeordnetensprecher Schiit sein.
Nach dem Waffenstillstand im Krieg zwischen Israel und dem Libanon läuft ein Mann mit einer Hisbollah-Fahne durch die Ruinen Beiruts (August 2006).
Rückschläge gefährdeten immer wieder den Frieden. Israel hielt bis Mai 2000 Teile des südlichen Libanon besetzt. Die schiitische Hisbollah-Miliz provozierte durch Übergriffe. Dennoch stabilisierte sich der Zedernstaat – nicht unbedingt ein Wunder der Aussöhnung, eher Ergebnis eines neugefundenen Pragmatismus. Unter dem dynamischen, dem Westen zugeneigten Ministerpräsidenten Rafik al-Hariri erlebte die »Schweiz des Nahen Ostens« ein glänzendes Comeback.
Als ich 2004 Beirut besuchte, zeigte der Premier stolz seine Stadt, wahrlich auferstanden aus Ruinen. Skeptiker sagten, die schnell hochgezogenen Viertel seien architektonisch einfallslos; andere monierten, der milliardenschwere Baulöwe Hariri habe auch persönlich vom Boom profitiert. Entscheidend aber war, dass Beirut seine Lebenslust wiederfand. Jeden Abend Showtime am neugestalteten Märtyrerplatz im Zentrum. Die Jugend tanzte im wahrsten Sinne des Wortes auf den Särgen, ein Bunker war zur makabren Disco umgebaut worden. »Whisky Sour« und »Sex on the Beach« zwischen Sandsäcken und Granathülsen.
Selbst die schiitische Hisbollah-Miliz, mit Hilfe syrischer und iranischer Gelder schon damals stärker als die reguläre
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