Die neue arabische Welt
Armee, wirkte weniger grimmig. Seit ich bei einem Interview im geheimen Hauptquartier der Organisation einmal meine Visitenkarte hinterlassen hatte, bekam ich freundliche Neujahrsgrüße der »Partei Gottes« per Mail.
Die Hisbollah, mit einigen frei gewählten Abgeordneten damals auch schon im Parlament aktiv, präsentiert sich als politische Kraft, karitative Hilfsorganisation und antiisraelische Miliz zugleich. Der »Widerstand« gegen die »Zionisten« war von Anfang an ihr Lebenselixier, lautstark fordern ihre Führer bis heute die »Befreiung« der Schabaa-Farmen,
eines winzigen Landstücks, das nach ihrer Auffassung widerrechtlich besetzt ist.
Ein schwieriges Land. Nichts ist im Libanon so, wie es auf den ersten Blick erscheint, unter der Oberfläche verborgen, künden schwer zu entschlüsselnde Chiffren von einer zweiten, dritten und vierten Wahrheit. Hariri senior schenkte uns stolz einen Beirut-Bildband, dessen besonders beschichtetes Cover sich beim Drehen verändert: zerstörte Stadt, wiederaufgebaute Stadt. Ein Vexierbild unterschiedlicher Grautöne, schillernder Farben, das sich als Symbol für den Libanon deuten ließ. Jeder konnte sehen, was er sehen wollte. Der Optimismus in diesem Jahr 2004 aber war ermutigend, ansteckend. Beirut, diese Unverwüstliche, die immer versucht hat, Unvereinbares zu vereinen, dieser Bastard mit blauem Blut, diese Metropole, nach Vergnügungen so süchtig, für Katastrophen so anfällig – sie schien nun endgültig zurück.
Papst Johannes Paul II. hatte bereits 1997 erklärt, das Land sei ein Vorbild, eine »Botschaft«. Er meinte damit wohl die Freiheit der Religionsausübung, die Offenheit für Einflüsse von Ost und West, den Pluralismus mit einer unabhängigen Presse und den in der arabischen Welt ungewöhnlichen Bildungschancen – ein demokratisches Experiment, das lange schon vor der tunesischen Jasminrevolution und Ägyptens Freiheitsdemonstrationen erblüht war.
Doch der Mord an Hariri vergiftet bis heute das politische Klima in Beirut. Die von der Uno beschlossenen Untersuchungen und ein seit 2009 arbeitendes Sondertribunal taten sich schwer, den Anschlag aufzuklären und haben immer noch keinen Abschluss präsentiert. Pleiten, Pech und Pannen summierten sich zu einer Chronologie des Versagens, obwohl das Ermittler-Team zu Beginn mit dem deutschen Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis einen hochkarätigen
Chef bekam. Der Kernsatz seines Berichts, den er im Oktober 2005 vorlegte, lautete: »Viele Spuren weisen direkt auf syrische Offizielle, die in das Attentat involviert waren.« Wie man heute weiß, saß Mehlis dubiosen Belastungszeugen auf.
Erst ein ebenso hartnäckiger wie technisch begabter libanesischer Geheimdienstexperte brachte die aufsehenerregende Wende: Wissam Eid, 31, einer von zwei lokalen Chefermittlern. Er konzentrierte sich auf die Telefongespräche nahe dem Tatort. Eid entschlüsselt, über die acht Handys des Killer-Teams hinaus, ein Netzwerk von 20 Mobiltelefonen, deren Besitzer sich auffallend oft in der Nähe Hariris aufhielten – und macht eine überraschende Entdeckung: Sie lassen sich dem »operativen Arm« der Hisbollah zuordnen. Eine direkte Spur verdankt der Cyber-Detektiv dem Liebeswahn eines Terroristen, der den »heißen« Apparat entgegen allen Anweisungen zu einem Privatgespräch nutzte.
Im Frühjahr 2007 leitet Eid die Informationen weiter nach Den Haag – und wartet. Mehr als ein halbes Jahr lang schlummert das hochbrisante Material in den Panzerschränken des Sondertribunals. Dort verschwindet es auf mysteriöse Weise, erst spät wird die Wichtigkeit erkannt. Am 25. Januar 2008, wenige Tage nach einem ersten Treffen der Ermittler mit dem Libanesen, ist Eid tot – sein Wagen wird in die Luft gesprengt.
Der SPIEGEL berichtete schon 2009 über die neuen Erkenntnisse zur möglichen Täterschaft der Hisbollah. Nun, im Juni 2011, hat das Uno-Sondertribunal tatsächlich Anklage erhoben gegen vier enge Vertraute Hisbollah-Chefs Hassain Nasrallahs, darunter Salim Ajjasch, Anführer einer geheimen militärischen Sondereinheit der Hisbollah.
Was wird nun aus dem Libanon? Durch ihre hohe Geburtenrate sind die Schiiten mit geschätzt bis zu 40 Prozent
der Bevölkerung inzwischen die größte konfessionelle Gruppe und damit im Parlament eher unterrepräsentiert. Die überwiegend von Schiiten gewählte Hisbollah dürfte also ihren Einfluss künftig noch ausdehnen.
Gäbe es eine olympische Disziplin, die Wendepotential und
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