Die neue arabische Welt
Doppelzüngigkeit politischer Führer auszeichnete, Beirut hätte große Chancen, Gold und Silber zu erringen. Der König der Wendehälse ist Walid Dschumblat, 61, der Mann, den ich bei der Familien-Trauerfeier vor 34 Jahren kennengelernt hatte. Er machte die Syrer lange für das Attentat auf seinen Vater verantwortlich, verfluchte sie als »Halbaffen« – und ging doch Allianzen mit ihnen ein. Er gilt als persönlicher Freund von Hariri senior wie junior – und schlug sich nun plötzlich auf die Seite der Hisbollah, nannte das Sondertribunal ein »Instrument der Zerstörung«. Seine »Sozialistische Fortschrittspartei« war das Zünglein an der Waage im Parlament, wechselte die Seiten, so stürzte Hariri auch über ihn.
Zweimal ließ Nasrallah, der Chef der »Partei Gottes«, in den vergangenen Monaten seine Miliz provozierend an zentralen Plätzen von Beirut aufmarschieren – eine Drohgebärde. Mit den Stimmen der Drusen konnte er sich letztlich ganz legal durchsetzen. Und so hat die Hisbollah einen Regierungschef ihrer Wahl installiert: Nadschib Mikati, 55, einen milliardenschweren sunnitischen Geschäftsmann, der an der American University von Beirut und in Harvard studierte, aber als Freund Syriens gilt.
Im Libanon stehen sich nun zwei etwa gleich große, unvereinbare Blöcke gegenüber: die Hisbollah, deren Macht an dem unverbrüchlichen Glauben ihrer Anhänger hängt, dass der militante Widerstand immer nur dem »zionistischen Feind« galt – eine nachgewiesene Verwicklung in den Hariri-Mord wäre für sie fatal. Und die Gruppierung
um Saad al-Hariri, der alles tun wird, um die Killer seines Vaters zur Rechenschaft zu ziehen und selbst an die Macht zurückzukehren. Jedes Wochenende gibt es in Beirut wieder Demonstrationen und »Tage des Zorns«, junge Leute fordern, endlich den Religionsproporz abzuschaffen, der ihr Land seit Jahrzehnten blockiert, sie fordern Freiheit, Gerechtigkeit und ein Ende des Terrors.
Über den Libanon zu schreiben heißt an Wunder zu glauben. Die Krise ist für dieses Land, was für den Skifahrer die Steilhangpiste ist – man kennt die Gefahren, ist auch schon öfter gestürzt. Und man geht doch immer wieder hinauf. Deshalb gibt es bei allen Spannungen in Beirut auch eine verblüffende Gelassenheit.
Möglicherweise sind die Dinge hinter den Kulissen mehr im Fluss als angenommen. Vor Kurzem jedenfalls schlug sich die von der Hisbollah bestimmte Regierung in einer entscheidenden Frage auf die Seite des Westens: Als alternierendes Mitglied im Uno-Sicherheitsrat brachte ausgerechnet Beirut die Resolution ein, mit der über Libyen eine Flugverbotszone eingerichtet und Oberst Gaddafi entscheidend geschwächt werden sollte.
Die Libanesen sind gewohnt, Spielball der Interessen anderer zu sein. Sie sind Meister darin, sich zu arrangieren. Eine Beiruter Telefongesellschaft wirbt dieser Tage mit dem Slogan: »Die Situation im Land ist angespannt. Nutzen Sie unser neues Sonderangebot, um auf dem Laufenden zu bleiben.«
Oase am Tropf
Die Golf-Emirate sind eine Provokation
des gesunden Menschenverstands. Ihr extremer Reichtum,
ihre glitzernde Architektur, ihre Hyperinstallationen
der Kultur – alles auf Sand gebaut.
Sind die Golfstaaten die arabische Zukunft?
Von Alexander Smoltczyk
Es ist ein 16 Millimeter dicker Schlauch aus schwarzem Plastik. Man sieht ihn nicht sofort, aber er ist da, überall. An jeder Dattelpalme des Emirats liegt er, an jeder Akazie und Tamariske, mal unterirdisch verborgen, mal offen im Sand. Kostspielig entsalztes Meerwasser fließt durch den Schlauch, und Hunderte, vielleicht Tausende Kilometer reicht das Netz der Schläuche, ganze Alleen werden so bewässert, vierfach gestaffelt ziehen sie sich durch die Wüste von Abu Dhabi, und jeder einzelne Baum hängt am Tropf.
Dieser Schlauch ist der Inbegriff eines Experiments, das seit 40 Jahren zwischen den hitzeflimmernden Ufern des Golfs und der Rub-al-Chali-Wüste läuft: das Experiment »Vereinigte Arabische Emirate« (VAE).
Es handelt sich eher um eine Wette. Der Staatsgründer, Scheich Sajid Bin Sultan Al Nahajan, war überzeugt, dass man nur genügend Bäume mit Schläuchen in die Wüste stellen müsste, dann würde sich das Klima schon ändern. Dann würden die Wurzeln eines Tages lang genug sein, um ohne Schlauch Wasser zu finden. Dann würden die sieben Emirate ohne die Krücken des Öls laufen können. Häfen
und Finanzindustrie würden das Geld bringen, Forschungs-und Handelszentren, aus
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