Die neue arabische Welt
öffentliche Beteiligung, abgesehen von den Leserbriefseiten in den »Gulf News«. Ausländern, die sich über verschmutzte Badestrände beschweren, wird gern mal nahegelegt zu verschwinden.
Wie regiert und entschieden wird, ist undurchschaubar. Die »Ruler« sind umgeben von einem engen Zirkel von Beratern, meistens selbst Mitglieder des Stammes. Wer zum Zirkel gehört, wird mit lukrativen Posten belohnt. Es ist eine vormoderne Form politischen Verhandelns, bei der es vorkommen kann, dass 30-Jahres-Pläne in zwei Stunden umgeworfen werden.
Dafür, wie sie innerhalb von 20 Jahren aus einer mittelkleinen Hafenstadt eine Weltstadt mit fast zwei Millionen
Einwohnern hochgezogen haben, gibt es kein Beispiel. »Was hier geschieht, ist eines der Mirakel unserer Tage«, sagt der Philosoph Peter Sloterdijk. »Am Persischen Golf ist in kürzester Zeit ein beispielloser Zivilisationskollektor entstanden, an dem viele maßgebliche Elemente der Weltkulturen unter einer kraftvollen Regie neu versammelt werden.« Er beschreibt Abu Dhabis Kunstinsel Saadija, ja ganz Dubai als »Hyperinstallation«, wo die Museen, die künstlichen Klimata und Landschaften Teil eines Größeren sind, einer »Arabosphäre«.
Möglich ist all dies geworden, weil die Welt am Öl hängt. Weil China und Indien die Bühne betreten haben, weil es einen immensen Bedarf an Service gab und der Welthandel zwischen Europa und Asien in einem Maße explodiert ist, wie seit den Tagen vor dem Ersten Weltkrieg nicht mehr. Den Scheichtümern am Golf mag vieles vorgehalten werden, aber nicht, dass sie ihre Jahrhundertchance nicht genutzt hätten.
Dubai vervierfachte seine Größe innerhalb von zehn Jahren und verdoppelte seine Bevölkerung auf heute 1,9 Millionen. Der neue Airport wird doppelt so groß sein wie London-Heathrow. Las Vegas mag für Autofahrer gebaut worden sein, Dubai ist für den Landeanflug entworfen worden. Ein deutscher Architekt in Dubai erzählt, seine Kunden hätten bei Besprechungen nur einen einzigen Wunsch: »Make it look rich.« Dann folge meist der Satz: »Das Dienstmädchen-Zimmer braucht kein Fenster.«
Es mangelt nicht an Urbanisten, die schlüssig erklären, weshalb dieses Entwicklungsmodell nicht gutgehen kann. Weshalb es sich eigentlich um ein Missverständnis handeln muss, dieses Land, in dem alles unecht ist, die Bäume, die Arbeitsverträge, das Lächeln, das Wasser, die Inseln. Das im Grunde eine Fata Morgana ist, glitzernd aus der Ferne,
das beim Sichnähern aber sofort zu dem zerfällt, was es eigentlich ist – in Sand.
Diese Stadt ist eine Provokation für den gesunden Menschenverstand. Es kann nicht sein, dass ein Wüstenland ohne einen Liter Süßwasservorkommen mit seinen Golfplätzen wirbt. Es kann nicht sein, dass rund 90 Prozent der Bürger gar keine sind, sondern weitgehend rechtlose Arbeitsnomaden (»Expats«), die bei der erstbesten Gelegenheit wieder hinausgeworfen werden können. Es kann nicht sein, dass immer noch so gelebt wird, als sei Klimawandel das Hirngespinst einer apokalyptischen Sekte.
Seit Abu Dhabi den Sitz von Irena ergattert hat, der Agentur für erneuerbare Energien, stehen überall Schilder, auf denen zu bewusstem Umgang mit Wasser und Energie ermahnt wird. Diese Schilder sind die ganze Nacht beleuchtet und stehen meist auf künstlich bewässerten Rasenflächen.
Dieser ungenierte Glaube an Wachstum, meint der im Emirat Ajman lehrende Architekt Michael Schwarz, sei einer der Gründe für den Boom der Emirate. Stadtpläne zeigen Dubai nicht, wie es ist, sondern wie es aussehen soll. Die abgebildeten Viertel sind »u/c«, »under construction«. Eine Stadt, die angelegt ist wie ein Freizeitpark. Räumlich getrennte Themenparks, mit Gebäude-Ikonen und dem Versprechen von Entspannung und Einmaligkeit.
Dubai ist der Versuch, mittels Architektur eine Identität zu erzeugen. Nur wird Identität mit Marke verwechselt. Die Gebäude, ganze Viertel sind völlig austauschbarer Globalstil, ideal für das Marketing, doch ungeeignet, die Sinnlichkeit zu erzeugen, die eine authentische Stadt braucht. Dubai und Abu Dhabi sehen in weiten Teilen aus wie ein Architekturmodell im Maßstab 1:1. Sie sind genauso sauber, steril und unbelebt. In urbanistischen Ideallandschaften
stehen Sitzbänke in der flirrenden Hitze herum, blinken Fußgängerampeln, alles weit, sauber und menschenleer.
Der Dubai-Kult, dieser Tanz ums goldene »Übermorgenland«, endete abrupt, als am 25. November 2009 die staatseigene Holding
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